Am 19. November 2024 fand auf Einladung des Young Mobility Networks in Kooperation mit Women in Mobility, Women in Cycling, Integriertes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain (ivm GmbH) und der House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH im Frankfurter Kulturaushaus an der Ostendstraße eine Filmvorführung mit anschließender Panel-Diskussion statt, die das Thema Alltagsmobilität einem breiteren Publikum öffnete. Wir nahmen den Termin zum Anlass, um mit dem Regisseur Kristian Gründling zu sprechen.

Vor Filmbeginn fragten die Initiatorin und der Initiator des Abends, Anna Filby und Max Beitler (beide Young Mobility Network), das Meinungsbild der anwesenden Besucherinnen und Besucher in Bezug auf ihre Anreise zum Kulturhaus ab. Der überwiegende Teil des Publikums ist mithilfe öffentlicher Verkehrsmittel angereist (71 %), während sich die restlichen 29 % auf die Mobilitätsformen Fußverkehr, Radverkehr, PKW, P + R und B + R aufteilten. Eine aktive Form der Mobilität, das heißt Verkehrsmittel wie zu Fuß, Tretroller oder Fahrrad nutzten dabei knapp 26 % der Teilnehmenden, während der Großteil des Publikums (74 %) auf inaktive Verkehrsmittel wie den ÖPNV setzte.

Ergebnisse der Umfrage nach der Verkehrsmittelnutzung des Publikums. Bild: ivm GmbH

Nach diesem lockeren Einstieg in das Thema des Abends konnte es mit dem Film losgehen. A HUMAN RIDE (D 2024), der neue Dokumentarfilm des preisgekrönten Regisseurs Kristian Gründling, thematisiert den Grundwiderspruch aus individuellen Fortbewegungspräferenzen und nachhaltigen Mobilitätsfragen, die uns alle angehen. Gründling und sein Team machten sich auf den Weg durch Deutschland und gingen dem Grundbedürfnis nach Mobilität auf den Grund. Dabei kommen Mobilitätsexpertinnen und -experten, Forschende und ein Querschnitt aus Normalbürgerinnen und -bürgern zu Wort, die den Zuschauerinnen und Zuschauern hautnah teilhaben lassen, was es für sie bedeutet von A nach B zu kommen. Der Film und das anschließende Panel zeigten eindrucksvoll, dass es bei Mobilität um mehr als um technische Details oder stadtplanerische Scharmützel geht. Es geht dabei um Fragen der Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Transformation.

Filminfos

OT: A HUMAN RIDE
R: Kristian Gründling
VÖ: 2024
Produktionsland: Deutschland
Länge: 64 Min.
Zum Filmtrailer: www.a-human-ride.de

PERSPEKTIVEN

Im Zentrum des gut einstündigen Films steht der Perspektivwechsel oder genauer: der Zusammenprall verschiedenster Sichtweisen auf das Thema Mobilität. Mit Kamera und Mikrofon ausgestattet, ergründet Gründling die ganz persönlichen Blickwinkel von Menschen auf ihre Formen der alltäglichen Fortbewegung und lässt sie so miteinander in Dialog treten. Hierbei wird sich eines der ältesten Kunstmittel des Kinos, der dialektischen Montage bedient, um die Zuschauenden zu neuen Einsichten und der Hinterfragung ihrer eigenen Haltung zu zwingen. Da wäre etwa die schwäbische Pflegerin im ländlichen Raum, die trotz schlechten Gewissens weiterhin auf den Verbrennungsmotor setzt, um zur Arbeit zu kommen und Familienmitglieder zu pflegen. Oder ein Familienvater, der seine Töchter mit einem Lastenrad befördert. Oder ein Rapper, der das Auto als wichtiges Statussymbol sieht. Oder ein Berliner Rollstuhlfahrer, der täglich mangelnder Barrierefreiheit und nicht ausreichenden Inklusionsangeboten im Bahnverkehr ausgesetzt ist. Oder ein Pendler aus Wien, der vom Auto auf die Bahn umgestiegen ist. Durch diese ständigen Perspektivwechsel bleibt der Film selbst ständig in Bewegung und setzt mit der Zeit etwas im Bewusstsein der Zusehenden frei.

Im persönlichen Gespräch erklärt Regisseur Kristian Gründling seine Herangehensweise und klärt gleichzeitig darüber auf, was ihn persönlich am Thema Mobilität reizte: „Ich erinnere mich, wie ich einmal wegen einer Sportverletzung Probleme hatte. Der mich behandelnde Arzt gab mir Krücken und schickte mich nach Hause. Mit einem Mal fragte ich mich, wie ich das denn schaffen sollte!“ Gründling berichtet davon, wie sich durch diese Situation sein ganzes Leben auf einen Schlag geändert habe: „Du blickst anders auf Treppen, auf Wege, auf funktionierende bzw. nicht-funktionierende Fahrstühle. Insofern sind Perspektivwechsel ein wichtiger Teil des Films: Wie erlebt ein mobilitätseingeschränkter Mensch, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, Mobilität? Wie erlebt ein 92-jähriger Mann, der schlecht zu Fuß unterwegs ist, Mobilität?“ Gründling will die Zuschauenden so sensibilisieren. Indem er etwa die Sichtweisen mobilitätseingeschränkter Mobilitätsteilnehmerinnen und -teilnehmer in den Blick nimmt, will er auf ungleiche Mobilitätsbedingungen im Alltag der Menschen aufmerksam machen.

Dabei will der Film vor allem eines: Versöhnen. Indem Perspektiven anderer Personen in Bezug auf ihre alltägliche Fortbewegung zur Schau gestellt werden, soll die eigene Haltung gegenüber alternativen Formen der Mobilität möglichst kritisch hinterfragt werden. Im Anschluss steht ein Kompromiss, eine Synthese oder mindestens die Einsicht, dass auch andere Positionen das Recht besitzen, gehört zu werden: „Ich wollte mit dem Film an die Vernunft appellieren und fragen, mit welcher Haltung begegnen wir eigentlich dem Anderen in Sachen Mobilität?“

Regisseur Kristian Gründling im Gespräch mit dem Publikum vor der Filmvorführung im Foyer des Frankfurter Kulturhauses.

TRANSFORMATION

Gründlings Film setzt bewusst darauf, die Zuschauenden herauszufordern. Seine Filmbilder zielen auf einen Transformationsprozess des Bewusstseins ab, die im besten Falle zu einer intellektuellen Sensibilisierung beitragen. Gründling nennt das Resonanzschwingung: „Ich will ja gar nicht unbedingt alle Fragen beantworten. Aber ich kann jemanden in so eine kleine Resonanzschwingung bringen, damit man mal anfängt ein bisschen nachzudenken. Es geht darum Probleme aufzufächern und in tiefere Schichten des Problems hineinzugehen. Wenn mir das mit dem Film gelingt, ist schon viel erreicht.“

A HUMAN RIDE, das deutet der Titel bereits an, will den spalterischen und extremen Stimmungen unserer Zeit etwas Progressives entgegensetzen. Gerade den teils apokalyptischen Absagen an die Bahn oder das Elektroauto begegnet der Film mit der Darstellung alternativer Verkehrsmittel, die das individuelle Lebensgefühl steigern: „Der Film ist auch eine Liebeserklärung an die Mobilität, aber verbunden mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Es geht um Gerechtigkeitsfragen. Und wenn die ungeklärt sind, etwa, wenn man feststellt, dass Mobilität ungerecht verteilt ist, dann ist das gerade in spaltenden Zeiten ein Weckruf. Mit A HUMAN RIDE möchte ich ein stärkeres Bewusstsein für Gerechtigkeit schaffen und aktiv für Akzeptanz werben.“

Auch im anschließenden Panel, das Max Beitler vom Young Mobility Network moderierte, wurde das Thema Gerechtigkeit diskutiert. So betonten Ilma Bojadzic, Co-Founder encore von der Deutschen Bahn, Heike Mühlhans, Geschäftsführerin von der ivm GmbH, Kristian Gründling, Martina Rumschick, Head of Brand & Content der Eurobike, und Jackie Contreras, Angestellte bei Moviestar und Darstellerin im Film, im Gespräch mit dem Publikum, dass sich Mobilitätsgerechtigkeit immer aus den höchst individuellen Mobilitätsbedürfnissen jedes Einzelnen ergibt. Noch immer fuhren auf dem Land die Busse und Bahnen so unregelmäßig, dass viele auf das eigene Auto setzen müssten. Noch immer hakt es bei öffentlichen Verkehrsmitteln und deren Infrastruktur in Bezug auf Barrierefreiheit und Inklusionsangebote, so dass Betroffene auf Alternativen auswichen. Und noch immer könnten sich nicht alle Menschen umweltschonendere Elektroautos oder Zugtickets leisten. Die Diskutierenden waren sich darin einig, dass man diese Faktoren im Hinterkopf behalten müsse, wenn man über nachhaltige Mobilität spreche.

Nachhaltige Mobilität ist dabei keine Frage des Geldes oder der moralischen Selbstdisziplinierung, sondern lässt sich sehr gut mit dem eigenen Wohlbefinden kombinieren. Fahrrad- und E-Roller-Fahren macht Spaß – und das soll es auch! Und auch das Reisen in Bus und Bahn bereitet, allen Unkenrufen zum Trotz, mächtig Vergnügen – es gibt unlängst Alternativen zum normalen Verbrennungsmotor – man müsse nur den Mut haben, auch zu ihrer Nutzung zu stehen. Gründling selbst ist vor einiger Zeit in seiner Heimatstadt München vom Auto zum E-Roller umgestiegen und lebt seitdem bestens damit: „Wir müssen nicht auf etwas verzichten, um das Klima zu schonen. Im Gegenteil, es macht in erster Linie Spaß, damit zu fahren. Und man hat noch Vorteile wie Zeitersparnis und Bequemlichkeit. Es steigert die Lebensqualität.“

A HUMAN RIDE will also auch Chancen in Sachen Mobilität aufzeigen. Damit begegnet der Film jener oft beschworenen Angst vor Veränderungen oder Verzichtsideen. Der Film versteht sich eher als Plädoyer für den Einsatz nachhaltiger Verkehrsmittel, die schon lange ihren spießigen und kostenintensiven Status abgelegt hätten: „Das ist schon lange kein Trend mehr, sondern es macht einfach Spaß und steigert die Lebensqualität, auch mit Fahrrad und Co. unterwegs zu sein.“ Um jenen von Gründling beschworenen gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandel in Sachen Mobilität herbeizufügen, sei es deshalb ungemein wichtig, genau diese Aspekte in die politische und unternehmerische Kommunikation aufzunehmen: „Ich glaube, dass wir bei der Kommunikation in den Vordergrund rücken müssen, die mit Vorteilen und Lebensqualitätsverbesserungen zu tun haben.“

Das Publikum und die Panelistinnen und Panelisten im Austausch nach der Filmvorführung. 

 

NEUES PUBLIKUM, ALTE FRAGEN

Die Vielstimmigkeit, die der Film präsentiert, wird möglichst unprätentiös zur Schau gestellt. A HUMAN RIDE bietet keinen Appell und auch keine direkten Lösungen an. Gründlings Film zeigt Individuen, die in ein Geflecht an Mobilitätsmittel eingebunden sind. Hört man ihnen zu, wird eines klar: So unterschiedlich die Menschen, so unterschiedlich sind auch deren Mittel zur Fortbewegung und Ansichten dazu. Dabei kreist der Film stets um die Frage, wohin die zukünftige Planung der Mobilität hingehen müsse. Zumindest hier liefert A HUMAN RIDE eine eindeutige Antwort: Zu den Menschen! So bemerkt Gründling, dass es aber nur allzu oft vorkomme, dass uns die Mobilitätsentwicklung vorschreibt, wie wir zu leben haben: „Mehr Mobilitätsmöglichkeiten ersparen uns in Wirklichkeit ja gar keine Zeit. Wir sind eigentlich nur immer mehr unterwegs. Ist das erstrebenswert, das wir immer mehr, immer öfter und immer schneller irgendwo hinkommen können? Es ist nicht eine Frage des Rückbaus des Bestehenden, sondern eher eine Frage in die Zukunft: Brauchen wir eine vierte, fünfte, sechste Spur demnächst auf der Autobahn? Brauchen wir die siebte, achte, zehnte und zwölfte Landebahn auf den Flughäfen?“

Gründlings Dokumentation setzt sich dafür ein, dass der Mensch die Mobilitätsplanung wieder stärker selbst in die Hand nehmen muss. Uns sei unser eigenes Grundbedürfnis beizeiten zu stark aus dem Blick geraten. Dabei gehe es nicht um den Rückbau bereits vorfindbarer Mobilitätsangebote, sondern um die möglichst vernünftige Anpassung an unsere Bedürfnisse. Nicht Wachstum sollte die Devise sein, sondern die Frage, wie uns Mobilität im Alltag bestmöglich unterstützen kann. Die Mobilität hat sich also wieder stärker an den Menschen auszurichten – und nicht umgekehrt: „Gerade dank der technologischen Entwicklungen kommen ganz neue Formen der Mobilität auf, die dann auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt werden können.“

Im Panelgespräch wird vielfach darauf hingewiesen, dass der Mensch vor den größten Herausforderungen (Klimawandel, Digitalisierung) seiner Geschichte. Deshalb müsse er sich und seine Mobilität neu erfinden: Die mobile Infrastruktur ist einer der entscheidenden Faktoren jenes allumfassenden Transformationsprozesses, den es bedarf, damit der Mensch langfristig lebensfähig bleiben kann. Die Frage nach einer nachhaltigen Mobilität beschäftigte das Publikum auch lange nach dem Film und dem anschließenden Panel.

Das Publikum im vollbesetzten Kulturhaus in Frankfurt.

QUO VADIS, MOBILITÄT?

Am Ende eines nachdenklichen Abends steht die Einsicht, dass wir Mobilität nur gemeinschaftlich denken und weiterentwickeln können. Da sind sich die Panelteilnehmerinnen und -teilnehmer und das Publikum einig. Dazu gehört auch die Bereitschaft eines jeden von uns, unsere Vorurteile abzulegen und die teils unbequemen Meinungen anderer zu akzeptieren. Dass das gelingen kann, hat dieser Filmabend im vollbesetzten Frankfurter Kulturhaus eindrucksvoll bewiesen: Hier kamen verschiedenste gesellschaftliche Gruppen zusammen, um sich über ihre alltäglichen Mobilitätserfahrungen auszutauschen und die Fortbewegung von Morgen zu diskutieren. Ohne Scheuklappen. Und mit dem Bewusstsein, etwas zum Positiven verändern zu wollen.

So resümiert Anna Filby, Gründerin des Young Mobility Network, im Anschluss an die Veranstaltung, dass Mobilität uns alle angeht und niemanden ausschließen sollte: „Der Filmabend hat mich daran erinnert, warum ich in der Mobilitätsbranche arbeite: für die Menschen. Es war zutiefst berührend und inspirierend mit dem Young Mobility Network unseren ersten Kinoabend im Theater zu veranstalten. Ein großer Dank geht an unsere Panelistinnen und Panelisten für ihre persönlichen und professionellen Einblicke und an das begeisterte Publikum. Es wurde gelacht, kritisch hinterfragt und lebhaft diskutiert – genau so, wie es sein sollte. Nur gemeinsam, mit Vielfalt, können wir die Zukunft gestalten. Mobility is a Human Ride!“

Anna Filby vom Young Mobility Network. Foto: Anna Filby