
„Mit unter 100 Millionen Euro Jahresbudget für KV-Terminals werden wir keine erfolgreiche Verkehrswende im Güterverkehr erleben“ – Boris Timm, COO von CargoBeamer, im Interview zur Rolle des Kombinierten Verkehrs
Auf dem Weg zum klimaneutralen Kontinent bis 2050 hat sich die EU zum Ziel gesetzt, den Güterverkehr auf der Schiene bis 2030 um die Hälfte zu steigern. Wie lassen sich mehr Waren von der Straße auf die Schiene bringen? Der HOLM-Blog hat dazu Boris Timm, COO von CargoBeamer, gefragt. Das Unternehmen bietet eine vielversprechende Verladelösung im Bereich des Kombinierten Verkehrs (KV) an.

HOLM-Blog: Herr Timm, CargoBeamer will mit seiner Technologie dazu beitragen, mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen. Was ist das Innovative an Ihrer Transportlösung?
Boris Timm: CargoBeamer bringt alle Arten von Sattelaufliegern auf die Schiene. Dabei ist egal, ob es sich um kranbare oder nicht kranbare Einheiten handelt.[1] Letztere machen immerhin rund 95 Prozent der Langstrecken-Lkw-Verkehre auf europäischen Autobahnen aus – und konnten bislang kaum die Schiene nutzen. Mit unserer CargoBeamer-Technologie können wir jede Art von Einheit im Terminal horizontal – also von der Seite – vollautomatisiert per Knopfdruck auf den Zug verladen. Während klassische Kranterminals für die Be- und Entladung eines ganzen Zuges so mehrere Stunden benötigen, nimmt der Vorgang bei CargoBeamer nur 20 Minuten in Anspruch. Das ist ein signifikanter Meilenstein, um mehr Verkehre in deutlich kürzer Zeit abzuwickeln und die Prozesse auf der Schiene zu beschleunigen. Unsere Hauptstrecke zwischen Westdeutschland und Norditalien zählt mit bis zu acht Zügen pro Tag schon jetzt zu den frequenzstärksten Linien im europäischen Kombinierten Verkehr, und wir wollen unser Netzwerk signifikant ausbauen.

HOLM-Blog: Wie funktioniert die Verladung im Detail?
Boris Timm: Im Terminal wird die Ladeinheit, welche zuvor von der Fahrerin oder dem Fahrer auf dem Parkplatz angeliefert wurde, auf einem wannenähnlichen Waggonaufsatz parallel zum Verladegleis abgestellt. Dies geschieht schrittweise entlang der gesamten Länge des Zuges und heißt bei uns Vorladung. Sobald der Zug einfährt, werden mittels einer unterirdisch verbauten Verladetechnologie die mit den Sattelaufliegern beladenen Wannen leicht angehoben und seitlich auf den Zug verschoben. Abschließend klappen die Seitenwände der Waggons nach oben, und der Zug ist abfahrbereit. Die Verweilzeit eines Zuges im Terminal wird durch die rasche Verladung bereits stark reduziert – und dank anderer innovativer Lösungen, wie einer automatisierten Prüfung der Wagen vor deren Abfahrt, arbeiten wir daran, Prozessschritte zu beschleunigen.
HOLM-Blog: Wie viel CO2 spart der Transport via CargoBeamer ein?
Boris Timm: Das hängt von der Strecke und dem Bahnstrommix – also der Zusammensetzung der Energiequellen bei der Stromzufuhr – des jeweiligen Landes ab. Auf französischen Relationen [2] sparen wir beispielsweise über 90 Prozent CO2-Emissionen gegenüber einem Diesel-Lkw ein. Im alpenquerenden Verkehr zwischen Deutschland und Italien liegen wir eher bei 80 Prozent CO2-Reduktion.
HOLM-Blog: CargoBeamer setzt auf ein eigenes Netzwerk mit eigenen Terminals und Waggons. Ist Ihr System auch mit anderen kompatibel?
Boris Timm: Wir betreiben zwar eigene Terminals und Waggons, sind mit unserer Lösung aber nicht darauf angewiesen. Insbesondere im Hochlauf neuer Märkte ist es ein Vorteil für uns, bestehende Terminals mit Reachstacker [3] oder Kränen nutzen zu können, was es uns erlaubt, innerhalb kurzer Zeit neue Relationen auf die Beine zu stellen. Auch im Bereich Waggons mischen wir klassische Doppeltaschenwagen [4] in unsere Züge ein, um die größtmögliche Effizienz auf jeder Linie zu erzielen. Klar ist jedoch: Es gibt kein schnelleres und effizienteres Konzept in Europa, als zwei CargoBeamer-Terminals mit einem Zug aus CargoBeamer-Waggons zu verbinden.

HOLM-Blog: Die EU will den Güterverkehr auf der Schiene bis 2030 um die Hälfte steigern. Was ist aus Ihrer Sicht nötig, um dies zu erreichen?
Boris Timm: Signifikant mehr KV-Terminals, insbesondere für den Umschlag von Sattelaufliegern! Hier liegt ein enormes Wachstumspotenzial für den Kombinierten Verkehr, den viele zum klaren Hoffnungsträger der Branche erkoren haben. Ohne zahlreiche neue Einstiegspunkte – also Terminals – und Relationen für Sattelauflieger auf der Schiene wird die Erreichung der Verkehrsverlagerungsziele nicht annähernd möglich sein.
HOLM-Blog: Und wer ist dabei gefordert?
Boris Timm: Gefordert ist hier einerseits die Industrie gemeinsam mit den Genehmigungsbehörden, geeignete Flächen mit Eignung für ein Terminal erfolgreich zu sichern oder gemeinsame Nutzungspotenziale mit anderen Marktteilnehmern – beispielsweise aus dem Bereich Photovoltaik – zu erschließen. Zum anderen müssen wir sicherstellen, dass im Bundeshaushalt in den kommenden Jahren die entsprechenden Mittel für Terminal-Neubauprojekte sichergestellt sind. Mit unter 100 Millionen Euro Jahresbudget für alle Neu- und Ausbauprojekte von KV-Terminals in Deutschland werden wir keine erfolgreiche Verkehrswende im Güterverkehr erleben.
HOLM-Blog: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was müsste als Erstes geschehen, um den Transport auf der Schiene für Spediteure und Unternehmen attraktiver zu machen?
Boris Timm: In erster Linie liegt es an der KV-Industrie selbst, ein konkurrenzfähiges Produkt auf die Schiene zu stellen, welches für Spediteure und Verlader interessant ist. Angebote vom Kunden her zu denken ist das Gebot der Stunde. Damit bringt CargoBeamer bereits Unternehmen wie Amazon oder UPS auf die Züge, die ihre Warenströme in Europa mit engen Deadlines und ausgeklügelten Prozessen gestalten. Mein Wunsch wäre daher, dass die Schiene mehr Anstrengungen unternimmt, um als Ganzes günstiger zu werden.
HOLM-Blog: Was könnte den Kombinierten Verkehr gegenüber dem reinen Lkw-Transport günstiger machen?
Boris Timm: Ansatzpunkte gibt es viele: eine ausgebaute Förderung der Trassenpreisentgelte, die endlich auch fair zwischen Güter- und Personenverkehr verteilt werden; Vereinfachung bei grenzüberschreitenden Verkehren, stärkere CO2-Bepreisung, Kosteneffizienz beim Ausbau von Strecken, längere Zuglängen etc. – alles muss auf das gemeinsame Ziel einzahlen, den Preis von Schiene und Straße einander anzugleichen.
HOLM-Blog: Vielen Dank für das Gespräch.
Anmerkungen
[1] Sattelauflieger sind eine der am häufigsten genutzten Transportmittel im Güterverkehr. Ein Teil des Gewichts dieser meist mehrachsigen Anhänger wird auf die Sattelzugmaschine verlagert, auf der der Anhänger „aufliegt“. Beim Transport auf der Schiene wird der Auflieger in der Regel von der Zugmaschine getrennt und u. a. mittels Kran auf Bahnwagen verladen.
„Kranbare“ Auflieger besitzen bereits verstärkte Bereiche am Außenrahmen (Greifkanten) und können direkt von einem Kran gegriffen werden. (Quelle: Koch International) Aber auch „nicht-kranbare“ Auflieger können mithilfe verschiedener Umladetechniken auf der Schiene befördert werden.
[2] Mit Relation wird in der Logistik eine Streckenverbindung zwischen zwei Orten oder Regionen bezeichnet (hier gemeint) oder auch ein bestimmtes Gebiet, in das eine Sendung verschickt wird. (Quellen siehe u. a. DB Cargo und DHL Fright
[3] Reachstacker sind Greifstapler. Die Fahrzeuge können ganze Container oder Auflieger „greifen“ und zum Beispiel auf Bahnwagen heben. (Quelle: Wikipedia)
[4] Taschenwagen sind Eisenbahn-Güterwagen u. a. für den Transport von Sattelaufliegern. Die „Taschen“ bieten Platz für Räder und Fahrgestell des Sattelanhängers, was die Transporthöhe von Waggon und Ladung auf ein erforderliches Maß bringt. (Quelle: Wikipedia)