Beim Kombinierten Verkehr (KV) wird Ware über Container, Wechselbrücken oder Lkw-Sattelauflieger transportiert – bei längeren Distanzen mit Schiffen und Zügen, bei kürzeren Strecken mit dem Lkw. Das klingt zunächst nach einer Selbstverständlichkeit. Doch was ist das Besondere am KV? An der Technischen Universität Darmstadt ist eine Studie entstanden – der KV-Radar 2023. Wir sprachen mit Prof. Dr. Ralf Elbert und dem Doktoranden Yuerui Tang darüber, worin die Herausforderungen beim KV liegen und welche Maßnahmen dazu beitragen, den KV zu stärken.

Links: Prof. Dr. Ralf Elbert leitet seit 2011 das Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik an der Technischen Universität Darmstadt. In der Forschung konzentriert er sich auf die datengetriebene Planung und Analyse von Transportnetzwerken, insbesondere intermodale Güterverkehre.
Rechts: Yuerui Tang ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik der TU Darmstadt. Er konzentriert sich auf die Optimierung des operativen Planungsprozesses im intermodalen Verkehr, insbesondere im Kombinierten Straßen- und Schienengüterverkehr.

HOLM-Blog: Was ist der KV-Radar? Und was ist dessen Ziel?

Yuerui Tang: Der KV-Radar 2023 ist eine vom Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, unter der Leitung von Prof. Elbert durchgeführte Delphi-Studie, die sich mit der Ermittlung und Bewertung von Maßnahmen zur Stärkung des Kombinierten Verkehrs (KV) in Deutschland befasst. Ziel der Studie ist es, die aktuellen Herausforderungen im KV zu identifizieren und konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, um den KV als zukunftsorientierte Transportalternative zu fördern.

HOLM-Blog: Welche Ergebnisse und Maßnahmen leiten Sie aus dem KV-Radar ab?

Yuerui Tang: Insgesamt wurden 23 Maßnahmen über zwei Befragungsrunden hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit und ihres Einflusses auf den Marktanteil des KV bewertet. Diese umfassen die Bereiche Politik mit neun Maßnahmen, Infrastruktur mit sechs Maßnahmen, Kooperation & Koordination mit vier sowie Markt & Technologie ebenfalls mit vier Maßnahmen.

Prof. Dr. Ralf Elbert: Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass 19 der 23 Maßnahmen einen hohen Einfluss auf den Marktanteil haben können, aber ein hoher Umsetzungsaufwand nötig wäre. Insbesondere fallen alle infrastrukturellen Maßnahmen und Maßnahmen im Bereich Kooperation und Koordination unter diese Einschätzung, welche zeigt, dass eine Stärkung des KV nicht trivial ist.

HOLM-Blog: Was heißt das genau? Wo liegen die aktuellen Herausforderungen beim Kombinierten Verkehr?

Prof. Dr. Ralf Elbert: Das sind in erster Linie Kapazitätsprobleme auf der Schiene und in den Terminals. Konkret bedeutet das: Im Terminal ist der Umschlagbetrieb ab einer Kapazitätsauslastung von 80 Prozent kaum noch möglich, da das Kranen vom untersten Container im Stapel aufwändige Umkranungen von allen oberen Containern erfordert, die woanders platziert werden müssen. Die Fahrwege, die dabei entstehen, verursachen enorme Zeitverluste.

Yuerui Tang: In Bezug auf die Schiene wird im KV-Radar noch einmal deutlich: Die Kapazität des deutschen Schienennetzes ist ausgelastet. Ein Ausbau des Schienennetzes ist mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Die vorhandenen fahrenden Züge müssen deshalb noch effizienter beladen werden, um das steigende Aufkommen zu bewältigen. Neben den hohen Investitionskosten für notwendige Infrastruktur und Technik gibt es einen dringenden Bedarf an digitalen Lösungen zur besseren Vernetzung und Effizienzsteigerung.

Prof. Dr. Ralf Elbert: Zudem hat die Branche auch mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Im Projekt KV-Radar haben die Projektteilnehmer*innen explizit den Personalmangel bei den Lkw-Fahrer*innen genannt. Das ist ein großes Problem. Dem soll entgegengewirkt werden, indem zum Beispiel durch relativ kurze Vor- und Nachläufe im KV das Berufsbild eines Lkw-Fahrers bzw. einer Lkw-Fahrerin attraktiver wird.

HOLM-Blog: Erklären Sie uns bitte, was Sie mit Vor- und Nachlauf meinen.

Prof. Dr. Ralf Elbert: In der Logistik wird der Transport der Güter vom Versender zum Haupttransportmittel als Vorlauf bezeichnet. Der Nachlauf ist der letzte Vorgang in der Transportkette und bezeichnet den Transport einer Ware direkt zum Empfänger. Damit schließt der Nachlauf direkt an den Hauptlauf an. In der Regel wird der Nachlauf mit dem Lkw durchgeführt.

HOLM-Blog: Das heißt, dass die Lkw-Fahrer*innen kürzere Strecken zurücklegen und somit weniger Zeit auf der Autobahn verbringen?

Prof. Dr. Ralf Elbert: Richtig!

Auch die Logistikbranche hat mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Spediteure suchen händeringend Lkw-Fahrer*innen. Bild: Shutterstock.com / Halfpoint

HOLM-Blog: Was kann noch getan werden, um Fachkräfte für den KV zu gewinnen?

Prof. Dr. Ralf Elbert: Ganz wichtig: Die Inhalte in der Aus- und Fortbildung müssen verstärkt auf die Anforderungen des KV angepasst werden, sodass junge Menschen besser auf die Arbeitssituation vorbereitet sind.

HOLM-Blog: Welche sechs Maßnahmen verbergen sich hinter der Infrastruktur? Oder anders gefragt: Welche Verbesserungen in der Infrastruktur und Technik braucht es?

Yuerui Tang: Von den Projektteilnehmer*innen wurden vor allem die folgenden infrastrukturellen und technischen Maßnahmen bewertet: Wie eben schon angesprochen, die Linderung des Personalmangels bei Lkw-Fahrern durch Erhöhung der Attraktivität der Arbeit im Vor- und Nachlauf des KV. Außerdem die Erhöhung der Terminaldichte in nachfragestarken Regionen durch den Bau neuer Terminals. Die Erhöhung der Kapazität und Produktivität bestehender Terminals sowie die Automatisierung von Terminals bzw. den Ausbau oder die Erweiterung der Vorbahnhöfe zur Entlastung der Terminals. Gleichzeitig die Erweiterung von Abstellflächen an bestehenden Terminals. Der Ausbau der Umschlagkapazitäten in Terminals für 740 Meter lange Züge. Zudem wünschen sich die Befragten vor allem die Förderung innovativer Umschlagstechnologien. 

HOLM-Blog: Um in diesen Bereichen eine Optimierung zu erzielen, braucht es außerdem digitale Lösungen. Wer oder was muss mit besseren digitalen Lösungen vernetzt werden?

Yuerui Tang: Das betrifft alle Akteure im KV: Verlader, Spediteure, KV-Operateure, EVUs, Technologieanbieter bzw. -dienstleister sowie die Etablierung zentraler digitaler Buchungsplattformen im Bereich des KV. Weitere wichtige Aspekte sind das durchgehende Tracking von Verkehrsträgern, die eine genauere Ankunftszeit besser abschätzen lässt, sowie die Einführung von der digitalen automatischen Kupplung, womit das An- und Abkoppeln von Wagen beschleunigt werden kann.

HOLM-Blog: Welche Rolle spielt hierbei Künstliche Intelligenz (KI)? Gibt es konkrete Anwendungen?

Prof. Dr. Ralf Elbert: KI ist ein wichtiger Baustein und für effizientere Abläufe unabdinglich. Unser Fachgebiet führt zum Beispiel zurzeit das Projekt KIBA aus, indem die KI für die Auftragsprognosen im KV verwendet wird. Damit soll ein sicherer Input geschaffen werden, der der Beladeoptimierung zur Auslastungssteigerung des KV-Schienennetzes dient.

HOLM-Blog: Würden Sie das bitte weiter erläutern?

Yuerui Tang: Neben den statisch-technischen Charakteristika der Sattelanhänger, Container und Wechselbehälter in ihren unterschiedlichen Bauarten und Bahnwagen auf der einen Seite spielen auch veränderliche Parameter, wie das tatsächliche Gewicht und die Art der Zuladung sowie der Fahrplan, auf der anderen Seite, eine bedeutende Rolle. Bei der konkreten Umsetzung des beschriebenen Projekts sind im Wesentlichen drei Systemmodule geplant:

  • die Beladeoptimierung einzelner Wagen,
  • die Beladeoptimierung aller Wagen einer Zuggarnitur,
  • und die Optimierung der Netzauslastung durch Kombination mit Routing-Entscheidungen.

Prof. Dr. Elbert: Das Projekt läuft noch bis September 2025 und wird durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr gefördert. Dann werden wir sehen können, welche Stellschrauben zur Optimierung der Beladesituation konkret gedreht werden können.

Eine wichtige Stellschraube im KV ist die Optimierung beim Beladen einzelner Wagen oder aller Wagen einer Zuggarnitur. Bild: Shutterstock.com / Lucian Milasan

HOLM-Blog: Um welche der vier Maßnahmen handelt es sich bei Kooperation & Koordination? Und wo gibt es hierbei Handlungsbedarf?

Yuerui Tang: Hierbei haben wir folgende Aspekte in den Blick genommen: die Stärkung der europäischen Kooperationen im Bereich Schiene, die Etablierung digitaler Plattformen zum Datenaustausch im Bereich KV, aber auch bilaterale Kooperationen zwischen den Terminals zur bestmöglichen Auslastung von Zügen. Und ganz wichtig, die Standardisierung der zu übermittelten Daten. Das heißt der Austausch unter den KV-Akteuren muss effizienter und schneller werden.

HOLM-Blog: Bisher haben wir auf das geschaut, was dringlich verbessert werden muss. Aber richten wir den Blick auch auf das, was schon erreicht wurde. Welche Maßnahmen konkret haben den Kombinierten Verkehr gestärkt?

Yuerui Tang: Erleichterungen gab es vor allem bei den Regularien. Zum Beispiel ist der Vor- und Nachlauf im Kombinierten Verkehr von den Kabotage-Regelungen ausgenommen, wie dies in der Richtlinie 92/106/EWG und Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 festgelegt wurde. Ohne diese gesonderte Verordnung/Richtlinie dürfte ein ausländischer Spediteur keine Transporte mit Start und Ziel in Deutschland durchführen. So dürfen auch ausländische Spediteure in Deutschland für den Vor- und Nachlauf im KV fahren, sodass dieser attraktiver wird.

Erleichterungen gibt es bei den Kabotageregelungen: Ausländische Spediteure dürfen in Deutschland für den Vor- und Nachlauf im KV fahren. Bild: Shutterstock.com / Andriy from Mykolayiv

Prof. Dr. Ralf Elbert: Zudem gibt es Förderprogramme für die finanzielle Unterstützung beim Ausbau und der Modernisierung der Infrastruktur. Über unser Fachgebiet gibt es zum Beispiel das Förderprojekt KV-HUB, indem netzweite Optimierung von Fahrplangestaltung und Cargo-Routing-Problem unter Nutzung von neuen Umschlagstechnologien und -verfahren anhand des Beispiels Megahub Hannover/Lehrte erprobt werden.

HOLM-Blog: Was hat sich im Vergleich zu 2021, als der erste KV-Radar erstellt wurde, verändert?

Yuerui Tang: Insgesamt lässt sich erkennen, dass die Bewertung der Umsetzbarkeit im Durchschnitt leicht gestiegen ist. Im Vergleich zu dem Meinungsbild des vorangegangenen KV-Radars zeigten sich 2023 besonders starke Erleichterungen bei Maßnahmen wie

  1. der Durchsetzung von Tariflöhnen für alle Lkw-Fahrer*innen,
  2. der Erhöhung der Lkw-Maut auf tatsächliche und Folgekosten sowie
  3. der Ausgleich des Nutzlastnachteils kranbarer Sattelauflieger durch Erhöhung des zulässigen Gewichts.

Alle drei Maßnahmen werden als leichter umsetzbar als vor zwei Jahren eingeschätzt. Der Einfluss auf den Marktanteil bei der Erhöhung der Lkw-Maut ist stark gestiegen, während der vom Ausgleich des Nutzlastnachteils kranbarer Sattelauflieger stark gesunken ist.

HOLM-Blog: Bitte fassen Sie kurz zusammen, wofür der KV in naher Zukunft gewappnet sein muss?

Prof. Dr. Ralf Elbert: Wie oben schon aufgeführt, muss die Infrastruktur dringend erneuert und erweitert werden, um Engpässe schnell zu beseitigen und die Schienen- und Terminalkapazitäten zu erweitern. Die Digitalisierung muss vorangetrieben werden. Das heißt, moderne IT-Lösungen wie die datengetriebene Planung müssen implementiert werden, sodass die Abläufe automatisiert und reibungsloser erledigt werden können. Zugleich muss das Personal entsprechend geschult werden. Und ganz klar: Die Inhalte in der Aus- und Fortbildung müssen verstärkt auf die Anforderungen des KV ausgerichtet werden, um qualifizierte Fachkräfte für die Branche zu gewinnen bzw. zu sichern.

HOLM-Blog: Und Sagen Sie bitte, was ist das Besondere am KV?

Yuerui Tang: Im KV werden verschiedene Verkehrsträger so miteinander kombiniert, dass die jeweiligen Vorteile optimal genutzt werden. Zum Beispiel ermöglicht die Schiene umweltfreundliche Transporte mit großen Volumina, während die Straße durch ihre Flexibilität punktet. Diese Kombination gleicht die Schwächen der einzelnen Verkehrsträger aus und führt zu einer effizienteren Nutzung der Ressourcen und Infrastruktur. Auch wenn der KV oft als ein Bereich mit eher graduellen Veränderungen angesehen wird, haben die letzten Jahre gezeigt, dass hier durchaus dynamische Entwicklungen möglich sind. Deshalb wird die Delphi-Studie „KV-Radar“ alle zwei Jahre erneut durchgeführt, und die nächste Erhebung steht im September 2024 an. Wir laden alle Experten herzlich ein, ihre Erfahrungen und ihr Wissen im Bereich KV einzubringen, um die Ergebnisse der Studie zu überprüfen und zur Weiterentwicklung des kombinierten Verkehrs beizutragen.

HOLM-Blog: Vielen Dank für das Gespräch.