Informationen zu Verbindungen im ÖPNV, zu Fahrplänenoder Wegführungen helfen uns im Alltag von A nach B zu kommen. Das gilt umso mehr in besonderen Situationen wie an Baustellen, bei großen Veranstaltungen oder wenn wir zum ersten Mal als Tourist oder Touristin eine Stadt besuchen.Wie muss Information in der Mobilität gestaltet werden, damit möglichst viele sie verstehen und nutzen können? Der HOLM-Blog hat bei Viktoria Brandenburg, Geschäftsführerin des Designstudios DID, nachgefragt.

Seit 2017 leitet Viktoria Brandenburg das Unternehmen „DID“. Die Informationsdesigner:innen arbeiten für das Ziel, Fahrgastinformationen im ÖPNV so verständlich, einfach und barrierefrei wie möglich zu gestalten. Das Studio aus Köln entwickelt deutschlandweit Lösungen für ein nutzungszentriertes Design − für die Menschen, die den Nahverkehr täglich nutzen, ebenso wie für die Mitarbeitenden in den Verkehrsunternehmen, die diese Informationen planen und bereitstellen. Bild: Viktoria Brandenburg; DID

HOLM-Blog: Frau Brandenburg, was kann Informationsdesign bei Mobilität im öffentlichen Raum leisten? Was muss es leisten?

Viktoria Brandenburg: Informationsdesign ist kein Nice-to-have – es ist ein zentrales Element einer funktionierenden öffentlichen Mobilität. Es hilft Menschen dabei, sich zu orientieren, Entscheidungen zu treffen und sich sicher zu fühlen. Im Idealfall bemerken Fahrgäste gar nicht, dass sie gerade Informationen verarbeitet haben – weil alles intuitiv und klar gestaltet ist. Genau das ist unsere Aufgabe: Orientierung und Teilhabe durch gutes Design möglich zu machen – für alle.

HOLM-Blog: Was sind die besonderen Aufgaben des Designs in puncto Barrierefreiheit? 

Barrierefreiheit betrifft uns alle – nicht nur Menschen mit Behinderung. Wer schon mal mit Kinderwagen, schwerem Gepäck oder gebrochenem Bein unterwegs war, kennt die Hürden im Alltag. Design für alle bedeutet: Ich muss nicht über meine Einschränkung nachdenken – weil für meine Situation mitgedacht wurde. Unsere Verantwortung als Gestalterinnen und Gestalter ist es, diese Perspektiven mitzudenken – und zwar selbstverständlich von Anfang an. 

Eine runde Sache: Im Liniennetzplan 2022 für Köln wurde erstmals eine Darstellung mit konzentrischen Kreisen umgesetzt. Das erleichtert die Orientierung, entspricht aber auch dem Straßenaufbau von NRWs größter Stadt mit ihrem ringförmigen Straßensystem. Foto: DID.

HOLM-Blog: Kann Informationsdesign Menschen auch dazu anstoßen, vermehrt mit Bussen und Bahnen zu fahren oder sogar auf den ÖPNV umzusteigen, also letztendlich zur Mobilitätswende beitragen? 

Viktoria Brandenburg: Ja – unbedingt! Design kann Barrieren abbauen, Vertrauen schaffen und die Nutzung von Bus und Bahn einfacher und angenehmer machen. Wenn die Wegeführung logisch ist, Informationen klar vermittelt werden und die gesamte Nutzungserfahrung positiv ist, steigen mehr Menschen um. Wir nennen das „nutzungszentriertes Design“. Der ÖPNV kann dadurch genauso begeistern, wie ein gutes Produktdesign von Apple oder Tesla – das ist keine Utopie, sondern unsere tägliche Motivation.

HOLM-Blog: Der Gestaltung sind keine Grenzen gesetzt. Oder doch? Was sind die Dos & Don’ts im Informationsdesign?

Viktoria Brandenburg: Gestaltung ist kein Selbstzweck. Alles, was schön, aber nicht verständlich ist, verfehlt seinen Zweck. Ein klares Do: Verständlichkeit vor Stil. Ein klares Don’t: Verliebtheit in Details. Wir brauchen Mut zur Reduktion und Vereinfachung. Gute Informationsgestaltung erkennt man daran, dass sie wirkt, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

HOLM-Blog: Karten und Fahrpläne im ÖPNV vermitteln Fahrgästen zum Teil komplexe Informationen. Wo liegen hier die Herausforderungen?

Viktoria Brandenburg: Karten sind die Königsdisziplin im Informationsdesign – sie verdichten Raum, Zeit und Orientierung in einem Bild. Die große Herausforderung: Unterschiedliche Nutzende verstehen Informationen unterschiedlich. Unsere Aufgabe ist es, Komplexität so zu übersetzen, dass sie für möglichst viele Menschen zugänglich wird – ganz gleich, ob sie täglich auf einer bestimmten Strecke pendeln oder das erste Mal in ihrem Leben eine Stadt besuchen und Sprachbarrieren existieren.  

Icons für verschiedene Verkehrsmittel entstehen. Im Idealfall vermitteln diese kleinen Symbole mit nur wenigen Strichen Informationen, die möglichst vielen Menschen unabhängig von Sprache und Kultur verständlich sind. Foto: DID.

HOLM-Blog: Also muss Informationsdesign universell, unabhängig von Sprache funktionieren?

Viktoria Brandenburg: Die Welt, in der wir uns bewegen, ist sprachlich, kulturell, körperlich und altersbedingt unglaublich vielfältig. Und genau diese Vielfalt muss sich im Design widerspiegeln. Informationsdesign im öffentlichen Raum darf nicht voraussetzen, dass Menschen eine bestimmte Sprache sprechen, ein bestimmtes Alter haben oder ein bestimmtes Bildungssystem durchlaufen haben. Es muss für alle funktionieren. 

Deshalb arbeiten wir im Informationsdesign nach dem Mehrkanalprinzip: Informationen sollten über mehrere Sinneskanäle gleichzeitig vermittelt werden – visuell, auditiv, taktil, im besten Fall sogar redundant. Das heißt: Text plus Icon, Farbe plus Form, visuelle Hinweise plus akustische Signale. Je mehr Kanäle einbezogen werden, desto größer die Chance, dass die Information wirklich ankommt – unabhängig von Sprache, Kontext oder individueller Einschränkung. Ein Icon ersetzt nicht automatisch Text – und umgekehrt. Nur im Zusammenspiel wird aus Gestaltung echte Orientierung. Unser Ziel ist es, Informationen so zu inszenieren, dass sie möglichst intuitiv verstanden werden – ohne Bedienungsanleitung. Das ist keine Kür, sondern absolute Pflicht, wenn wir Mobilität für alle ermöglichen wollen. 

 

Aushang für eine Baustelle an einer S-Bahn-Linie im Netz der Hamburger Verkehrsverbund Gesellschaft (hvv). Nur mit wenigen Worten informiert die Darstellung die Fahrgäste über die Sperrung und das Ersatzbus-Angebot. Der QR-Code führt zu weiteren Informationen. Bild: DID.

HOLM-Blog: Digitaler Endgeräte nehmen heute einen großen Raum ein, auch um sich zu informieren und zu orientieren. Beispiele dafür sind Routenplaner-Apps oder auch elektronische Anzeigetafel an Haltestellen. Braucht es künftig noch analoge Informationen und Visualisierungen? 

Viktoria Brandenburg: Unbedingt. Digitale Informationen sind schnell verfügbar und individuell – aber analoge Informationen sind für alle da. Besonders an Umsteigepunkten, bei Störungen oder für Menschen ohne Smartphone sind analoge Visualisierungen unverzichtbar. Mobilität braucht beides: digital und analog – und ein Design, das sie klug verzahnt. Ein einfaches Beispiel dafür sind QR-Codes etwa auf Fahrplanaushängen, die zu einem Angebot an weiterführenden Informationen oder in verschiedenen Sprachen führen. 

HOLM-Blog: Lesen denn junge Menschen heute überhaupt noch Streckenkarten oder Busfahrpläne?

Viktoria Brandenburg: Sie tun es – aber anders. Junge Menschen sind visuell geprägt, schnell im Erfassen, kritisch mit Umwegen. Wenn Karten verständlich, gut lesbar und auf den Punkt gestaltet sind, werden sie genutzt. Wenn nicht, eben nicht. Auch hier gilt: Design entscheidet.

HOLM-Blog: Vielen Dank für das Gespräch.