
„Die Branche versucht, resilienter zu werden“ – Bente Grimm über die Tourismusindustrie nach Corona
Die Welt erlebt turbulente Zeiten. Auf die Corona-Pandemie folgten dauerhafte geopolitische Krisen und der Rückzug in nationalökonomische Eigeninteressen. Wie wirken sich diese auf den Reiseverkehr und die Tourismusbranche aus? Wir haken nach bei Bente Grimm, Leiterin der Touristischen Mobilitätsforschung im Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT), und geben nach unserem ersten Gespräch „Die Verkehrsmittelnutzung beim Reisen hat sich verändert“ im Jahr 2022 ein Update.

HOLM-Blog: Frau Grimm, 2022 haben Sie geschätzt, dass sich das Niveau an Urlaubsreisen langsam wieder einpendelt, nachdem es 2021, Corona-bedingt [1], zu einem Einbruch kam (55 Millionen Urlaubsreisen im Jahr 2021 im Vergleich zu 70,8 Millionen im Jahr 2019). Und tatsächlich: 2024 lag das Gesamtvolumen wieder bei rund 68 Millionen Reisen. Und die FUR (Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V.) gibt auch für 2025 eine positive Prognose ab. [2] Ist schon abzuschätzen, welchen Einfluss die aktuellen globalen Krisen auf die Reiseentscheidung und das Reiseverhalten der Deutschen in der nahen Zukunft nehmen werden?
Bente Grimm: Die zu Jahresbeginn 2025 in der Reiseanalyse erhobenen Trendindikatoren – darunter die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage und die Reiseabsichten – fallen im Vergleich zu Januar 2024 etwas optimistischer aus. Im Kern geht es dabei darum, wie viele Menschen reisen können und wollen. Sowohl die allgemeine als auch die persönliche wirtschaftliche Lage werden von den Befragten etwas positiver eingeschätzt als im Vorjahr. Auch die Reisepläne unterstreichen die weiterhin hohe Bedeutung von Urlaubsreisen: 75 % der Bevölkerung planen, im Jahr 2025 sicher oder wahrscheinlich zu verreisen. 12 % sind noch unentschlossen, und nur 14 % geben an, keine Reise zu planen. Diese Werte liegen sogar leicht über dem Niveau der Jahre vor der Pandemie. Zugleich erwarten 17 %, 2025 mehr Geld für Reisen auszugeben als im Vorjahr – ein Spitzenwert, der seit zwanzig Jahren nicht erreicht wurde. Insgesamt deuten die Indikatoren auf ein erfolgreiches Tourismusjahr 2025 hin, trotz anhaltender Krisen und Inflation.

HOLM-Blog: Und welche Lehren haben die Urlausbreisenden aus der Corona-Pandemie gezogen? Sind neue Entwicklungen zu beobachten?
Bente Grimm: Die Branche versucht, resilienter zu werden, also besser vorbereitet zu sein, auf das, was unverhofft kommt. Stornobedingungen sind wichtiger geworden, sowohl für Anbieter als auch für die Reisenden. Viele Menschen haben gemerkt, wie wichtig ihnen Urlaubsreisen sind und was ihnen fehlt, wenn sie nicht oder nicht so verreisen können, wie sie wollen. Was allerorten fehlt, sind Arbeitskräfte, das ist im Tourismus nicht anders als im Öffentlichen Verkehr.
HOLM-Blog: Wohin zieht es die Deutschen in diesen Zeiten am meisten? Und hat sich in den zurückliegenden drei Jahren bei der Verkehrsmittelwahl für Urlaubsreisen spürbar verändert? 2021 wurden doch die meisten Reisen mit dem PKW unternommen wurden. Ist das immer noch so?
Bente Grimm: Auch 2024 gab es nur wenig Veränderung in der Rangliste der beliebtesten Urlaubsreiseziele. Deutschland, Spanien und Italien waren auch 2024 die Top-3-Destinationen von Urlaubsreisen mit fünf und mehr Tagen Dauer. Deutschland, als traditionell beliebtestes Reiseland der Deutschen, gewann 2024 wieder Marktanteile im Vergleich zum Vorjahr. Der Anteil stieg auf 24 %, liegt damit aber weiterhin unter den Werten der Jahre vor 2023. Auch in absoluten Zahlen verzeichnete das Inland einen Zuwachs von 14,2 auf 16,1 Mio. Passend zur Dynamik bei den Reisezielen war ein geringer Rückgang im Marktanteil der Flugreisen auf jetzt 45 % und eine leichte Zunahme bei den Autoreisen zu verzeichnen. Mit einem Anteil von 42 % liegt das Auto inzwischen hinter dem Flieger auf Rang 2. Die Marktanteile von Bus und Bahn liegen sehr eng beieinander. Im Vergleich zu den Vorjahren konnte die Bahn als Anreiseverkehrsmittel die Marktanteile leicht steigern von 5 % im Jahr 2023 auf jetzt 6 %. Der Marktanteil der Busreisen bleibt stabil bei 5 %. Betrachtet man nur die Inlands-Urlaubsreisen, ist das Auto nach wie vor dominant.

HOLM-Blog: Wie gestaltet sich das Mobilitätsverhalten vor Ort? Kam es hier zu Veränderungen? Nachhaltige Verkehrsmittel wie das Fahrrad oder das Elektro-Auto lagen in den letzten Jahren im Trend, und auch schon 2022 bei unserem letzten Gespräch, ist das heute auch noch Thema?
Bente Grimm: Welches Fortbewegungsmittel in der Urlaubsregion genutzt wird, hängt nach wie vor stark vom Anreiseverkehrsmittel ab. Wer mit dem Auto anreist, nutzt dieses meist auch vor Ort. Wer mit der Bahn anreist, ist oft auch vor Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Bei der Vor-Ort-Mobilität spielt in vielen Regionen auch das Fahrrad bzw. E-Bike eine relevante Rolle, und zwar nicht nur bei Fahrradurlauben, sondern auch als Verkehrsmittel für den Weg zum Bäcker oder Strand. Regionen, die Gästekarten inklusive ÖPNV-Nutzung anbieten, machen es den Gästen leichter, weil sie nicht über Tickets und Tarife nachdenken müssen. Wichtig ist, dass schon vor der Buchung, also in der Inspirationsphase über Mobilitätsangebote in der Urlaubsregion informiert werden muss, und von den Unterkunftsanbietern und Tourist-Informationen, die dabei aber Unterstützung von den Verkehrsunternehmen und -verbänden benötigen.
HOLM-Blog: Während der Corona-Pandemie wurde das 9-Euro-Ticket eingeführt und später zum Deutschlandticket weiterentwickelt. Mittlerweile erfreut sich das Ticket, trotz zwischenzeitlicher Preissteigerungen auf jetzt 58 Euro, recht großer Beliebtheit.[3] Wie wirkt sich das Ticket auf die Urlaubsgestaltung der Deutschen aus? Bringt dieses Angebot Veränderungen für den Reiseverkehr innerhalb Deutschlands mit sich?
Bente Grimm: Das Deutschlandticket wird auch im Rahmen von Urlaubs- und Kurzurlaubsreisen gerne genutzt, sowohl bei der An- und Abreise als auch für die Mobilität vor Ort.[4] In ausgewählten Orten und Regionen führt dies dazu, dass der Anteil derjenigen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, sich sichtbar erhöht hat. Es ist ein wichtiges Angebot, das zur nachhaltigeren touristischen Mobilität beiträgt. Dass jemand damit von den Alpen bis an die Küste oder vom Saarland bis in die Lausitz fährt, wird aber eher die Ausnahme sein.
HOLM-Blog: Mit welchem Gefühl blicken Sie für die Tourismusbranche in die Zukunft? Gibt es Gründe, optimistisch zu bleiben?
Bente Grimm: Ich blicke mit gemischten Gefühlen in die Zukunft des Tourismus und versuche, aktiv dazu beizutragen, dass es positiv voran geht. Der Tourismus steht vor zahlreichen Herausforderungen, die denen der Gesellschaft ähneln. Im Bereich der touristischen Mobilität geht es vor allem darum, nachhaltige Mobilität zu fördern und umweltfreundliche Verkehrsmittel zu stärken. Besonders wichtig ist dabei aus meiner Sicht die aktive Mobilität, also das Zufußgehen und Radfahren. Außerdem muss dafür gesorgt werden, dass touristische Ziele gut mit dem ÖPNV erreichbar sind und spezielle Bedürfnisse von Touristen berücksichtigt werden. Bei der Umsetzung helfen belastbare Daten zu Verkehrsströmen und genutzten Verkehrsmitteln von Ausflüglern und Urlaubsreisenden. In den Regionen, in denen diese fehlen, bleiben wirksame Maßnahmen ungenutzt.
HOLM-Blog: Vielen Dank für das Gespräch.
Quellen
[1] Am 5. Mai 2023 erklärte die WHO, die am 30. Januar 2020 erklärte gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite COVID-19 für nicht mehr gegeben. (Quelle: Wikipedia) Zuletzt geprüft: 30.05.2025
[2] Reise Analyse (2025): Erste Ergebnisse RA 2025 Zuletzt geprüft: 30.05.2025
[3] Statista (2025): Anzahl der Nutzer des Deutschlandtickets von Mai 2023 bis Februar 2025
[4] FGSV Arbeitsgruppe Verkehrsplanung (2024): Ad-hoc-Arbeitspapier, Deutschlandticket und Freizeitverkehr. Wechselwirkungen zwischen „Flatrate-ÖPNV" und Verkehrsmittelwahl in Freizeit und Tourismus, https://www.fgsv-verlag.de/ad-hoc-ap-deutschlandticket-und-freizeitverkehr