Der Radlogistik Verband Deutschland wurde 2018 in Berlin gegründet. Der Verband will den Einsatz von modernen Cargobikes und Lastenanhängern in der Logistik voranbringen und dadurch einen elementaren Beitrag zur Verkehrswende und zum Klimaschutz leisten.

Anfang März hat der Verband in Kooperation mit dem Institut für Logistik und Materialflusstechnik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg seinen zweiten Branchenreport veröffentlicht. Im Interview schildert der Verbandsvorsitzende Dr. Tom Assmann, was die Branche erreichen möchte, warum Radlogistiker*innen derzeit äußerst optimistisch in die Zukunft blicken und welche Unterstützung sie sich von der Politik wünschen.  

HOLM-Blog: Was steht hinter dem Begriff „Radlogistik“ und für was setzt sich Ihr Verband ein?

Tom Assmann: Die Radlogistik ist der saubere Transport von Gütern und anderen Gegenständen mit Fahrrädern, Lastenrädern und Fahrradanhängern. Der Begriff der Radlogistik beschreibt dabei das gesamte Ökosystem, das es ermöglicht, dies effizient, zuverlässig und sicher durchzuführen. Zur Radlogistik gehören die Hersteller von Lastenrädern, Anhängern und deren Komponenten, die operativen Logistiker, Beratungs- und Forschungseinrichtungen, Händler, Dienstleister, Wartungspartner, Softwareanbieter und viele weitere Akteur*innen. Hier entsteht eine spannende, neue Branche, die das Potential hat, die Logistik in Städten nachhaltig zu verbessern.

Unser Verband vertritt die Interessen dieser Pioniere mit dem Ziel, Radlogistik in der Breite der Logistik und der Wirtschaftsverkehre zu etablieren. Bis zum Jahr 2030 braucht es 30 Prozent Radlogistikanteil, um Klimaschutz in Städten wirksam umzusetzen, die Luft zu säubern und Straßen zu sichereren Orten für Menschen zu machen. Der Verband setzt sich deshalb besonders für die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, die Ausweitung der Förderung von Lastenrädern und Anhängern, die Umsetzung der Verkehrs- und Logistikwende und faire Preise sowie Arbeitsbedingungen ein.

Portraitfoto Tom Assmann vom Radlogistik e.V.
Dr. Tom Assmann ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Radlogistik Verbands Deutschland. Der studierte Wirtschaftsingenieur hat über die Integration von Logistikplanung und Stadtplanung promoviert. Bild: privat

HOLM-Blog: Anfang März hat der Radlogistik Verband Deutschland seinen aktuellen Branchenreport mit Daten, Fakten und Zahlen rund um die Radlogistik-Branche veröffentlicht. Dafür haben Sie rund 50 Akteur*innen aus dem Bereich befragt. Der Titel „Cargobikes und Radlogistik nehmen weiter Fahrt auf“ deutet darauf hin, dass sich in der Branche einiges tut. Welche positiven Entwicklungen haben Sie in der (jüngsten) Vergangenheit besonders erfreut oder überrascht?

Tom Assmann: Mich persönlich freut der Spirit und die Energie, mit der die Branche kontinuierlich daran arbeitet, immer mehr Transporte und Dienstleistungen auf das Lastenrad oder Anhänger zu verlagern, die Fahrzeugtechnologie stetig zu verbessern und immer wieder neue Konzepte und Lösungen zu präsentieren. Die Innovation und der Einsatz der Menschen dahinter ist hoch, aber es macht auch verdammt viel Spaß zu sehen, wie jeden Tag neue Fortschritte für eine nachhaltigere Logistik erzielt werden.

Den Enthusiasmus in der Radlogistik bilden die naturgemäß trockenen Zahlen kaum ab. Sie zeigen aber deutlich, dass es stark vorwärts geht. Zwei Beispiele dazu aus unserem aktuellen Report: 2021 wurden 33 Prozent, also effektiv 3.300, mehr gewerblich genutzte Lastenräder und Anhänger verkauft und der Umsatz wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 58 Prozent, also von 76 Millionen Euro im Jahr 2020 auf 120 Millionen Euro im Jahr 2021.

Mich freut es besonders, dass die Akteure und Akteurinnen 2022 noch optimistischer in die Zukunft blicken als im Vorjahr. Unsere Abfrage hat ergeben, dass dieses Jahr durchgängig mehr Personal eingestellt werden soll. Wer also Lust auf einen nachhaltigen Job mit guten Zukunftsaussichten hat, sollte jetzt bei den Radlogistikunternehmen vor Ort anheuern!

Die Abfrage hat auch gezeigt, dass die Branche zwar auch von Lieferschwierigkeiten betroffen ist, aber keine Lieferausfälle zu befürchten sind. Das hat mich beruhigt. Das heißt: Wer jetzt auf Lastenräder und Anhänger umstellen will, wird grundsätzlich fündig, sollte aber im besten Fall mit etwas zeitlichem Vorlauf planen.

Kreisdiagramm zu Umsatzentwicklung Radlogistik
Einschätzung der Umsatzentwicklung in der Radlogistik in 2022: 79 Prozent der für den Branchenreport befragten Organisation gehen 2022 von einem zunehmenden Umsatz aus. Abbildung: Radlogistik Verband Deutschland e.V.

HOLM-Blog: In welchen Bereichen sehen Sie hingegen vor allem noch Handlungs- und Nachholbedarf?

Tom Assmann: Die Ergebnisse des Branchenmonitors zeigen: Die Radlogistik ist inzwischen fest etabliert. Die Tools für die CO2-neutrale urbane Logistik sind da. Die Radlogistik wächst weiter, damit Städte klimaneutral und lebenswerter werden.

Was es jetzt braucht, ist das beherzte Handeln der Politik. Kommunen brauchen deutlich mehr Spielraum und monetäre Ressourcen, um die Verkehrs- und Logistikwende vor Ort umzusetzen, also Logistikkonzepte aufzustellen und umzusetzen, ambitionierte Umweltziele im Verkehr zu definieren, autoarme Quartiere und Begegnungszonen einzurichten, Flächen für Radlogistik und Mikrodepots zu etablieren und Radverkehrsinfrastrukturen auszubauen.

Vom Bund fordern wir als Verband daher klare Regeln, die Radlogistik im Rahmen der nachhaltigen, öffentlichen Beschaffung ermöglichen und priorisieren. Außerdem fordern wir eine Ausweitung der Förderung von Lastenrädern und Anhängern auch auf das Leasing, die Herstellung der Preisgerechtigkeit im Verkehr durch die Einpreisung von Umweltfolgekosten sowie die konsequente Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans.

Lastenrad mit Pakettransport
Im Jahr 2021 wurden laut Branchenreport 1,6 Millionen Kilometer durch Radlogistiker*innen und Einzelunternehmer*innen per Muskelkraft zurückgelegt. Das entspricht etwa der eineinhalbfachen Strecke von der Erde zum Mond. Bild: David Fuentes Prieto/Shutterstock.com

HOLM-Blog: Blicken wir in die Zukunft: Wo sehen Sie das Thema Radlogistik in einigen Jahren? Was wünschen Sie sich für die Entwicklung?

Tom Assmann: Die Radlogistik wird in ein paar Jahren der Standard für alle Fahrten mit kleineren, leichteren Sendungen und Gütern sein. Radlogistik wird der Gesellschaft helfen, Staus und die Anzahl von wild parkenden LKWs und Vans zu reduzieren. Damit nähern wir uns dem Ziel, dass viele Straßen wieder Orte für Menschen, Orte zum Spielen und zum Entspannen, Orte für Bäume und Grünbepflanzung werden und nicht lediglich Orte zum Abstellen von Autos bleiben.

Vielen Dank für das Gespräch.