Die Sommer-Urlaubssaison ist in vollem Gange. Die ersten Bundesländer sind bereits in die Ferien gestartet, in den kommenden Wochen werden viele Deutsche ihre Koffer packen und den lang ersehnten Urlaub antreten. Zwischen erholsamen Tagen in den Bergen, am See oder Meer liegt dann nur noch die (oft stundenlange und wenig beliebte) Anreise. Wie gestalten die deutschen Urlauber*innen den Weg in den Urlaub und zurück? Welches Mobilitätsverhalten lässt sich am Urlaubsort feststellen und reisen junge Menschen besonders umweltbewusst? Darüber haben wir gesprochen mit Bente Grimm, Leiterin der Touristischen Mobilitätsforschung am Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT). Die 48-Jährige beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Mobilitätsverhalten auf Reisen, beobachtet aktuelle Trends und weiß, wie und warum sich die touristische Verkehrsmittelnutzung in den letzten Jahren verändert hat.

HOLM-Blog: Im Jahr 2019 haben die Deutschen 70,8 Millionen Urlaubsreisen (von fünf Tagen oder länger) unternommen. Dann kam Corona. Im vergangenen Jahr lag die Zahl aber immerhin schon wieder bei 55 Millionen Urlaubsreisen (Quelle: Reiseanalyse). Wie ist Ihre Einschätzung: Werden nach Corona langfristig weniger Reisen unternommen oder gehen Sie davon aus, dass schon bald neue Reiserekorde aufgestellt werden?

Bente Grimm: Ich gehe davon aus, dass die Menschen in Zukunft genauso viele Urlaubsreisen unternehmen werden, wie vor der Pandemie. Die Reiselust ist in Deutschland sehr groß und diejenigen, die es sich leisten können, werden die Chancen nutzen, die sich ihnen bieten. An neue Rekorde glaube ich allerdings nicht. Die Mehrheit wird weiterhin eine längere Urlaubsreise im Jahr machen und es wird auch in Zukunft eine Reihe von Menschen geben, die nicht verreisen wollen oder können.

Portraitfoto Bente Grimm NIT
Bente Grimm ist seit 2018 Leiterin der Touristischen Mobilitätsforschung am NIT. Sie selbst fährt in diesem Sommer mit ihrer Familie in die Schweiz – mit dem Auto, dem beliebtesten Reiseverkehrsmittel der Deutschen. Bild: Frank Molter

HOLM-Blog: Welche Verkehrsmittel sind für die Urlaubsanreise am beliebtesten?

Bente Grimm: Die bevölkerungsrepräsentativen Daten der Reiseanalyse zeigen, dass die meisten Urlaubsreisen mit dem PKW unternommen werden. Der Anteil lag im Jahr 2021 bei 55 Prozent. Flugreisen haben derzeit einen Anteil von 34 Prozent. Die restlichen 10 Prozent teilen sich Bahn und Bus.

Dass ein Verkehrsmittel häufig genutzt wird, heißt aber nicht unbedingt, dass es am beliebtesten ist. Es gilt der Grundsatz, dass sich die Wahl des Verkehrsmittels insbesondere nach dem Reiseziel bzw. der zurückzulegenden Entfernung richtet. So beträgt der Anteil des Flugzeugs bei Inlandsurlaubsreisen unter einem Prozent, während Urlaubsreisen ans Mittelmeer zu 77 und Fernreisen zu 95 Prozent per Flugzeug unternommen werden.

Neben der Distanz ist auch die Frage der Reisebegleitung und damit auch des Gepäcktransports für die Verkehrsmittelwahl relevant. Wer mit Kindern reist, nimmt eher das Auto als Reisende ohne Kinder. Und: Je höher die soziale Schicht, desto eher wird mit dem Flieger gereist. Die Mittelschicht nutzt besonders oft den PKW und Personen aus der Unterschicht unternehmen überdurchschnittlich viele Reisen mit Bahn und Bus.

Bei Kurzurlaubsreisen mit ein bis drei Übernachtungen, die zum großen Teil innerhalb Deutschlands durchgeführt werden, steht der PKW noch deutlicher an der Spitze der Hitliste, Bus und Bahn haben größere Marktanteile als bei längeren Urlaubsreisen. Letzteres ist vor allem darauf zurückzuführen, dass bei Kurzurlaubsreisen das Ziel häufig in einer Stadt liegt, da ist die Anbindung an die Schiene einfach besser. Zudem hat man in der Regel weniger Gepäck dabei.

Statistik zu Hauptverkehrsmittel der Urlaubsreise
Abbildung: Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (FUR), Kiel

HOLM-Blog: Wie gestaltet sich das Mobilitätsverhalten dann vor Ort?

Bente Grimm: Je nach Urlaubsziel, Urlaubsart und Zusammensetzung der Reisegruppe werden in der Urlaubsregion viele verschiedene Fortbewegungsmittel genutzt. Wer es sowieso dabei hat, nutzt auch vor Ort häufig das Auto. Einen hohen Stellenwert hat aber auch das Fahrrad, das im Inland noch wichtiger ist als in ausländischen Destinationen. Im Ausland spielen zudem Mietwagen, Shuttle-Services und Taxis eine durchaus relevante Rolle. Was ich wichtig finde: Vor Ort sind die meisten Urlauberinnern und Urlauber zu Fuß unterwegs. Sie flanieren durch Innenstädte, wandern, gehen zum Bäcker oder am Strand entlang. Je attraktiver die Fußwege sind, desto höher ist auch der Anteil derjenigen, die zu Fuß unterwegs sind.

Fünf junge Menschen bringen ins Meer
Im Jahr 2021 war Spanien das beliebteste Reiseziel für Urlaubsreisen mit fünf und mehr Tagen außerhalb Deutschlands, gefolgt von Italien und der Türkei (Quelle: Reiseanalyse 2022 der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen). Bild: Pixabay.com/Pexels

HOLM-Blog: Beförderungsmittels zur Anreise an den Urlaubsort in den vergangenen Jahren verändert? Beobachten Sie hier Verschiebungen oder Trends, die sich abzeichnen?

Bente Grimm: Durch die veränderte Reisezielwahl, also insbesondere den höheren Inlandsanteil in Zeiten von Reisebeschränkungen, hat sich auch die Verkehrsmittelnutzung in den letzten Jahren geändert. Das Auto hat große Marktanteile gewonnen, das Flugzeug im Gegenzug verloren.

Bei Flugreisen und bei Kreuzfahrten erwarten meine Kolleg*innen und ich auch mittelfristig einen dämpfenden Effekt durch die Corona-Pandemie, auch wenn die unmittelbaren Beschränkungen längst überwunden sind. Wir halten es für plausibel, dass hier mehrere Entwicklungen zusammenwirken. Zum einen erwarten wir für die Flugreisen mit steigendem Nachhaltigkeitsbewusstsein und eher steigenden Flugpreisen ohnehin eine leichte Abschwächung des bisherigen Wachstums. Diese können durch die möglichen mittelfristigen Einstellungsveränderungen aufgrund der Pandemie (Vermeidung von langen Fahrten mit vielen Menschen auf engem Raum, Vermeidung von Unsicherheit beim Rücktransport, wenn erneut eine Krise eintreten sollte) verstärkt werden. Zum anderen fehlen auf Seiten der Airlines Piloten und bei der Flugzeugindustrie fallen jetzt schlagartig Bestellungen aus. Dadurch kommen Produktions- und Finanzierungsplanungen durcheinander, ggf. werden Produktionskapazitäten abgebaut, die dann bei einer Erholung erst wieder etabliert werden müssen.

Der Anteil der Wohnmobilreisen könnte hingegen etwas stärker steigen, nicht zuletzt, weil die zahlreichen jetzt gekauften Reisemobile quasi zur Nutzung einladen. Allerdings bleibt das Segment auch bei einem starken Wachstum ein kleines.

Statistik zu nachhaltigen Urlaubsreisen
Abbildung: Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (FUR), Kiel

HOLM-Blog: Stichwort Flugscham: Gerade bei der jungen Generation mit einem überdurchschnittlichen Klimabewusstsein könnte man meinen, dass nachhaltige Urlaubsformen und Verkehrsmittel (Fern-)Flugreisen vorgezogen werden. Ist diese Annahme korrekt? Unterscheidet sich das Urlaubs-Mobilitätsverhalten junger Menschen von jenem anderer Urlaubergruppen wie Familien, Paaren oder Senior*innen?

Bente Grimm: Oh nein, das ist nicht so. Junge Menschen reisen häufiger mit dem Flugzeug als Ältere, was insbesondere auf die Reisezielwahl zurückzuführen ist. So führten im Jahr 2021 fast 80 Prozent der Urlaubsreisen von 20- bis 29-Jährigen ins Ausland, vor allem ans Mittelmeer (Bevölkerung: 63%). Am klimafreundlichsten reisen Senior*innen. Die Altersgruppe 70 plus nutzt Bahn und Bus deutlich häufiger und dafür seltener das Flugzeug als jüngere Altersgruppen.

HOLM-Blog: Welche Beobachtungen haben Sie in den vergangenen Jahren beim Thema „Reisen und Mobilität“ am meisten überrascht und welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?

Bente Grimm: Es überrascht mich immer wieder, dass das Fliegen noch immer so billig ist, obwohl inzwischen allen bewusst sein sollte, wie groß die hierdurch entstehende Klimabelastung ist. Die größte Herausforderung sehe ich darin, die nachhaltigen Mobilitätsmöglichkeiten so attraktiv zu gestalten und zu vermarkten, dass die Urlauber*innen darin tatsächlich einen Mehrwert sehen und diese Angebote gerne und bevorzugt nutzen. Dazu muss vor allem die Bahn verlässlicher werden und die Anbindung ländlicher Regionen und ausländischer Reiseziele gewährleistet sein. Ein erster Schritt besteht dabei darin, die Zusammenarbeit zwischen Tourismusakteuren und Mobilitätsanbietern zu stärken.

HOLM-Blog: Abschließend: Noch bis August kann das 9-Euro-Ticket in Deutschlands Nahverkehr genutzt werden. Dieses Angebot beeinflusst sicherlich auch so manche Urlaubspläne, zumindest bei Reisen innerhalb Deutschlands. Wie nehmen Sie dieses Angebot wahr?

Bente Grimm: Eine Einschätzung zu den Volumen-Effekten des 9-Euro-Tickets kann ich zum aktuellen Zeitpunkt nicht abgeben, eine Befragung zur Nutzung planen wir für den Herbst. Aber das große Interesse am 9-Euro-Ticket zeigt, welche Chancen ein einfaches Tarifsystem bietet, macht aber auch deutlich, welche Schwachstellen der ÖPNV vor allem im ländlichen Raum und damit auch in beliebten Urlaubsregionen hat – im Übrigen nicht nur für die Gäste, sondern auch für diejenigen, die im Tourismus tätig sind. Dort, wo der Bus nur selten fährt, wäre selbst die kostenlose Fahrt nicht attraktiv. Und dort, wo es auch ohne 9-Euro-Ticket schon voll war, ist es jetzt an bestimmten Tagen hoffnungslos überfüllt. Toll finde ich deshalb Ausflugstipps für Regionen, die sonst nicht so im Fokus stehen, aber trotzdem mit dem Ticket erreichbar sind. Mein Traum wäre die Einführung eines Klimatickets, ähnlich wie in Österreich.


Vielen Dank für das Gespräch.