Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. An und mit ihr gearbeitet wird aber nicht erst, seitdem KI-Systeme durch die Einführung des Chatbots ChatGPT Ende 2022 für eine breite Öffentlichkeit zugänglich wurden. Industrie und Wissenschaft beschäftigen sich schon wesentlich länger mit der Entwicklung von KI-Lösungen. Das gilt für viele Bereiche – auch für die Logistik und Mobilität. Um mehr über die Herausforderungen bei der Entwicklung von KI-Lösungen, über die Chancen von KI für die Mobilität von morgen und die wichtige Rolle von gesellschaftlicher Akzeptanz zu erfahren, hat sich Michael Kadow, Geschäftsführer der House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH, zum Austausch mit Dr. Corina Apachiţe von Continental Automotive und Prof. Dr. Christian Haas von der Hochschule Fresenius getroffen. In dem Gespräch werden die Sichtweisen der Industrie und der Wissenschaft deutlich und von beiden Seiten Voraussetzungen formuliert und adressiert, um auch in Zukunft erfolgreich an KI-Systemen arbeiten zu können.

Michael Kadow: Frau Dr. Apachiţe, Sie beschäftigen sich mit Künstlicher Intelligenz. Woran arbeiten Sie gerade?

Dr. Corina Apachiţe: Bei Continental beschäftigen wir uns mit Künstlicher Intelligenz in zweierlei Hinsicht: Einerseits untersuchen wir sehr systematisch unsere internen Prozesse und Abläufe und schauen, welche von KI profitieren können. Andererseits schauen wir, wie KI zur Optimierung oder Erweiterung unseres Produktportfolios beitragen kann. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Denn unsere Ziele für die Mobilität von morgen werden wir ohne KI nicht erreichen können, automatisiertes Fahren etwa ist ohne KI unmöglich. Und innerhalb des Unternehmens möchten wir das Rad nicht jeden Tag neu erfinden, sondern das im Unternehmen vorhandene Wissen nutzen. Bei unserer mehr als 150-jährigen Firmengeschichte und 200.000 Beschäftigten ist die Vielfalt des Wissens und der Daten so enorm, dass deren kluges Management ohne KI unmöglich ist.

Michael Kadow: Prof. Haas, woran arbeiten Sie derzeit?

Prof. Dr. Christian Haas: In unserem Team an der Hochschule Fresenius haben wir mehrere Arbeitsstränge. Der eine Bereich ist ein klassischer naturwissenschaftlicher, mathematischer Strang. Dort entwickeln wir zum Beispiel KI-Modelle zur Barriere-Erkennung beim Gehen bzw. Laufen. Ein ganz anderer Anwendungsfall beschäftigt uns gemeinsam mit DB Cargo. Hier schauen wir uns KI-Modelle an, die zur Identifikation von Schäden an Güterwagen entwickelt und eingesetzt werden. Damit komme ich zum zweiten Strang unserer Arbeit, nämlich zur Zusammenarbeit zwischen Künstlicher Intelligenz und dem Menschen. Die Leitfrage, die uns hierbei beschäftigt, lautet: Wie interagieren diese beiden Intelligenzen miteinander? Eine Frage, die sich oftmals in den Bereichen Mobilität und Transport stellt, die aber auch Übertragungseffekte zu anderen Bereichen, wie etwa Finance, mit sich bringt.

„Hier in der Region tut sich etwas, hier ist eine Aufbruchsstimmung spürbar. Das empfinde ich als sehr förderlich“, sagt Prof. Dr. Christian Haas über den KI-Standort Hessen. Er ist Professor für quantitative Forschungsmethoden an der Hochschule Fresenius, Direktor des Instituts für komplexe Systemforschung und sitzt mit seinem Team im HOLM. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Autonome Systeme, KI-Anwendungen und die Interaktion mit menschlichen Verhaltens- und Entscheidungsmustern.

Michael Kadow: Worin bestehen dabei die aktuellen Herausforderungen?

Prof. Dr. Christian Haas: Da gibt es eine ganze Reihe an Herausforderungen. Das fängt bei unzähligen Missverständnissen und unscharfen Informationen an, die außerhalb der KI-Entwicklungs-Bubble vorherrschen. Schon der Begriff Künstliche Intelligenz sorgt für sehr unterschiedliche Assoziationen, beispielsweise im Sinne einer Superintelligenz, die generell – das heißt auch bei kleinen Anwendungen – als Gefahr wahrgenommen wird à la ‚KI übernimmt die Weltherrschaft‘. Problematisch ist in einigen Bereichen auch die Gleichsetzung mit oder Verbindung zu Robotern, wodurch die KI eine Körperlichkeit erhält, was zunächst kein Problem darstellt. Wird eine Körperlichkeit jedoch erwartet, ohne dass sie bei bestimmten Anwendungen vorhanden ist, so entstehen ‚kognitive Dissonanzen‘ die sich negativ auf die KI-Akzeptanz auswirken. Ähnlich ist es mit dem dritten Punkt: In unseren Untersuchungen finden wir häufiger, dass zu große Erwartungshaltungen an KI vorliegen, im Sinne von sie müsste oder sollte allwissend und in der Lage sein, jedes Problem in irgendeiner Art und Weise zu lösen. Wir aber entwickeln KI-Modelle oder führen diese ein für ganz bestimmte Anwendungen und nicht als Universallösung für Fragestellungen jeglicher Art. Um Missverständnisse und Enttäuschungen zu vermeiden, ist es folglich erforderlich, noch viel häufiger in den Austausch zu gehen.

Michael Kadow: Welchen Herausforderungen begegnen Sie, Frau Dr. Apachiţe?

Dr. Corina Apachiţe: Wir begegnen jeden Tag neuen Herausforderungen und doch sind es irgendwie immer die gleichen. Es geht um die Adaption dieser Technologie in die Masse – sowohl in internen Prozessen als auch bei der Weiterentwicklung unserer Produkte. Wie kommen wir zum Beispiel aus einem Proof-of-Concept-Zustand in die Skalierung, damit alle Kolleginnen und Kollegen bei Continental die Technologie nutzen können? Und wenn es um die Produkte geht, also um automatisiertes Fahren oder hochautomatisiertes Fahren, lautet die Herausforderung ganz eindeutig: Absicherung der Künstlichen Intelligenz. Wie stellen wir sicher, dass das, was wir unter bestimmten Annahmen und mit bestimmten Trainingsdaten entwickelt haben, sich in der Praxis sicher verhalten wird? Denn unsere Lösungen sind sicherheitskritische Systeme und am Ende geht es im Verkehr um Menschenleben. Wir machen das, um die Vision Zero zu erreichen, das heißt Unfälle auf der Straße ein für alle Mal zu vermeiden. Das ist die größte Herausforderung, die wir im Bereich Produkt sehen.

Groß und dauerhaft anhaltend ist aber auch die Herausforderung der Akzeptanz von KI-Anwendungen bei Nutzenden. Wir entwickeln diese Technologie für den Menschen, aber wie wollen wir den Menschen in die Entwicklungsprozesse involvieren und wann ist dafür der optimale Zeitpunkt? Menschen möchten manchmal nur eine Lösung und nicht wissen, wie es zu dieser Lösung gekommen ist. Wir nutzen heutzutage so viele kleine Helferlein in unserem Alltag, ohne zu wissen, wie das entwickelt wurde. Der Einzelne kann und möchte gar nicht überall involviert werden. Hier den richtigen Grad und den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, ist eine Herausforderung in unserem Arbeitsalltag, aber wichtig, um Akzeptanz für KI-Anwendungen herzustellen.

„Ich sehe durch Künstliche Intelligenz keine Maschinen, die zu Menschen werden, sondern Menschen, die aufhören, wie Maschinen zu arbeiten“, sagt Dr. Corina Apachiţe. Die Informatikerin leitet in Zentralfunktion das Programm für Künstliche Intelligenz und Daten bei Continental Automotive. Ein Teil ihres Teams forscht im HOLM an hybrider Künstlicher Intelligenz sowie an großen Sprachmodellen und entwickelt Lösungen für die Mobilität der Zukunft. Sie ist Kuratoriumsvorsitzende des Fraunhofer-Instituts für Kognitive Systeme IKS in München und leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Susanne Boll die Arbeitsgruppe für Innovation, Geschäftsprozesse und -modelle innerhalb der Plattform Lernende Systeme.

Michael Kadow: Ist der Faktor Sicherheit das Besondere im Bereich Automotive?

Dr. Corina Apachiţe: Sicherheit spielt natürlich auch in anderen Bereichen eine Rolle, aber ja, absolut. Im Sektor Automotive beschäftigen wir uns mit Mobilität, also mit einem Grundbedürfnis von uns Menschen. Wir wollen uns fortbewegen, wir wollen frei sein oder unsere Freiheit erleben, indem wir uns spontan von A nach B fortbewegen können. Alle technischen Lösungen, die das ermöglichen, sind sicherheitskritische Systeme, und in den Fahrzeugen sitzen Menschen, die hoffentlich irgendwann von diesen Systemen gefahren werden. Wir können es uns deshalb bei unserer Arbeit nicht leicht machen und sagen ‚Hey, hier ist ein Prototyp, probiere das einfach mal aus‘. Nein, wir müssen einhundert Prozent sicher sein, dass das Produkt zuverlässig auf der Straße unterwegs ist.

Michael Kadow: Sie haben den Bezug zum Menschen gerade hergestellt. Herr Prof. Haas, Sie beschäftigen sich explizit mit der Schnittstelle zwischen KI und dem Menschen. Was ist das Besondere hier?

Prof. Dr. Christian Haas: Wie Corina Apachiţe gerade richtig sagte, Mobilität ist Fortbewegung und hat uns letztlich zum Menschen gemacht. Das ist in uns Menschen stark verankert. Wenn ich an Ort A bin, mich dann nach Ort B bewege, bin ich nicht mehr an Ort A. Das heißt, Personenbeförderung, aber auch Gütertransport sind eine physische Welt. Das hat Auswirkungen auf uns Menschen. Wir sind in der physischen Welt verankert, bestimmte physische Orientierungsmerkmale triggern unsere Hirnfunktionen, damit wir uns in der physischen Welt orientieren können. Das eine geht nicht ohne das andere.

Und jetzt stehen wir vor der Herausforderung, die für die Bereiche Mobilität und Transport charakteristische physische Welt mit einer metaphysischen Welt zu verknüpfen. Metaphysisch im Sinne von vorhandenen Algorithmen, die schwer greifbar und schwer verständlich sind. Sie entwickeln irgendwann Lösungen, die nicht mehr einfach oder gut nachzuvollziehen sind. Sind wir aber sehr stark in der physischen Welt trainiert, wissen wir uns zu orientieren, haben wir Kenntnis vieler starker Ursache-Wirkungs-Beispiele, dann fällt es uns schwer, gleichzeitig eine metaphysische Welt zu akzeptieren. Ich bekomme eine Lösung präsentiert, weiß allerdings nicht, wie diese Lösung zustande gekommen ist. Und hier unterscheidet sich der Einsatz von KI in der Mobilität stark vom KI-Einsatz in anderen Bereichen, wie etwa der Finanzwelt. Dort ist die physische Welt wesentlich geringer ausgeprägt, auch wenn Finanzströme natürlich irgendwann auch ein Abbild von bestimmten Dingen sind. In erster Linie sind sie aber metaphysischer zu verstehen und der physische Geldkoffer seit Jahrzehnten nicht mehr das probate Mittel zur Finanztransaktion.

Michael Kadow: Auf den Punkt möchte ich gerne noch intensiver eingehen – und zwar mit einem stärkeren Bezug zur Logistik. Im klassischen Sinne transportieren wir Güter in Containern oder anderen Gefäßen von A nach B. Aber nun kommt der 3-D-Druck ins Spiel. Durch das Verfahren können wir verstärkt ‚nur noch‘ digitale Datensätze transportieren, die dann als Basis einer Produktion direkt am Anwendungsort dienen. Physische und digitale Welt werden so auch in der Logistik ein Stück weit entkoppelt, oder?

Prof. Dr. Christian Haas: Ja, es gibt mit Sicherheit eine ganze Reihe von Anwendungsfällen. Die große Herausforderung ist, Akzeptanz für neue KI-Lösungen zu schaffen – und zwar dort, wo jahrzehntelang in der physischen Welt engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigene, funktionierende Lösungen für sich und ihren Einsatzzweck gefunden haben. KI hat das Potenzialandere Lösungen zu ermöglichen. Diese sind nicht generell besser als menschliche Lösungen, aber für bestimmte neue Anforderungen in der Gesellschaft und Arbeitswelt sinnhaft bzw. essenziell. Lösungen, die hinsichtlich des Zustandekommens und der Gründe, warum sie gegebenenfalls besser funktionieren, für die Beschäftigten schwerer nachvollziehbar oder unverständlich sind, sind dann auch schwerer zu akzeptieren.

Michael Kadow: Wir führen das Gespräch im House of Logistics and Mobility, kurz: HOLM. Continental Automotive und die Hochschule Fresenius betreiben hier Standorte, Ihre Büros sind nur wenige Schritte entfernt. Welche Rolle spielt das HOLM bei Ihren Forschungs- und Entwicklungsprojekten?

Prof. Dr. Christian Haas: Hier ist der Schnittpunkt, im HOLM treffen Wirtschaftsunternehmen und Forschungsinstitutionen zusammen. Die Unternehmen haben konkrete operative Probleme zu lösen. Gleichzeitig sind hier im Haus talentierte Programmierer*innen, Mathematiker*innen und Entwickler*innen unterwegs. Unterschiedliche Hintergründe reiben sich in der gleichen Welt und entwickeln ein gegenseitiges Verständnis dafür, wo welche Probleme im operativen Bereich vorherrschen und wie im wissenschaftlichen oder im Entwicklungsbereich dafür Lösungen geschaffen werden können. Der Wissenstransfer und Austausch beim Mittagessen, beim Treffen auf einen Kaffee oder beim zufälligen Kontakt auf den Gängen ermöglicht uns relativ schnell, in die Welt des anderen einzutauchen, etwas mitzunehmen, darüber nachzudenken und sich dann damit weiter zu beschäftigen. 

HOLM-Geschäftsführer Michael Kadow treibt im House of Logistics and Mobility die Auseinandersetzung mit dem Thema Künstliche Intelligenz voran. Anfang 2023 begrüßte er die AI Quality & Testing Hub GmbH, eine gemeinsame Initiative des VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik und des Landes Hessen, am Standort HOLM. Außerdem beteiligt sich die HOLM GmbH aktiv am KI-Austausch der fünf hessischen „Houses of“ (neben dem HOLM sind das das House of Digital Transformation, das House of Energy, das Hous of Finance und das House of Pharma and Healthcare), der vom hessischen Digitalministerium initiiert wurde.

Michael Kadow: Den Punkt der zufälligen Begegnung möchte ich gleich aufgreifen und als Frage an Sie weitergeben, Frau Dr. Apachiţe. Welche Bedeutung hat das für Ihre Arbeit?

Dr. Corina Apachiţe: Für Fortschritt wird beides benötigt: Kooperation und Wettbewerb. Davon bin ich überzeugt. Beides definiert sich aber bei jedem Thema neu und ganz spezifisch. Ein Beispiel: Bei einer Automotive-Software werden Standards und Implementierung kooperativ und gemeinsam entwickelt und etabliert. Der Wettbewerb findet dann im Bereich der Applikationen statt.

Im Bereich Künstliche Intelligenz müssen wir die zwei Bereiche Zusammenarbeit und Wettbewerb neu definieren. Wir können es uns nicht leisten, uns nur einmal im Jahr bei einer Konferenz zu treffen und auszutauschen. Das muss viel schneller gehen. ‚Hast Du das schon gesehen? Kennst Du schon dieses Paper?‘ – ein ständiger Austausch und viele Begegnungen sind wichtig, denn auch KI wird von Menschen entwickelt. Unterschiedliche und komplementierende Perspektiven bringen uns voran. Warum? Weil wir auch als Unternehmen nicht wissen, was wir nicht wissen. Und da müssen wir uns bewusst aus der eigenen Bubble hinaustrauen, hinausbewegen. Und genau das funktioniert im HOLM.

Michael Kadow: Menschen unterschiedlicher Generationen, auch unterschiedlicher kultureller Prägungen kommen und arbeiten zusammen. Mit Bezug zur Arbeit an bzw. mit KI: Welche Rolle spielen hierbei kulturelle Besonderheiten?

Prof. Dr. Christian Haas: Das spielt definitiv eine Rolle. Wir blicken aus dem HOLM heraus nicht nur auf Hessen, Deutschland oder Europa, sondern auf die ganze Welt. Welche Lösungen werden in den USA, in China, in Indien entwickelt? Allerdings hinterfragen wir auch, welche Lösungen auch wo Sinn ergeben und unter welchen Rahmenbedingungen diese Lösungen entwickelt wurden. Das schauen wir uns, natürlich auch im Hinblick auf internationale Literatur, sehr genau an und prüfen, inwieweit diese Lösungen für uns hier, für unsere Kultur, für unsere Werte geeignet sind. Nicht jede KI-Lösung und auch nicht jede andere technische Lösung möchte ich im Sinne des Zusammenwirkens von Personen und Technik hier erleben. Und deshalb dürfen wir nicht nur zuschauen, sondern müssen auch mutige Entscheidungen treffen, was im Hinblick auf zum Beispiel Sicherheit für uns richtig ist und was nicht. Das halte ich für sinnvoll, es ist aber keine einmalige Sache. Diese Entscheidungen müssen kontinuierlich hinterfragt und geprüft werden und können sich durchaus in die eine oder andere Richtung ändern.

Michael Kadow: Frau Dr. Apachiţe, Continental ist ein weltweit agierender Konzern mit zahlreichen Standorten auf allen Kontinenten und diversen Teams. Wie stark wirken sich kulturelle Besonderheiten bei Ihrer Arbeit zu KI aus?

Dr. Corina Apachiţe: In Vielfalt liegt Reichtum. Wichtig ist von Beginn an ein gemeinsamer Nenner. In unserem Projekt geht es nicht darum, eine kulturelle Einheit zu schaffen. Wir wollen Vision Zero erreichen. Wir wollen, dass immer weniger Unfälle auf der Straße passieren. Das verbindet über kulturelle Grenzen hinaus. Und wir haben extrem viel Freude daran, von- und übereinander zu lernen. Natürlich gibt es unterschiedliche Kommunikationsstile. In Deutschland etwa wird sehr direkt kommuniziert, in Rumänien zum Beispiel viel indirekter. Das kenne ich aus eigener Erfahrung. Aber auch das oder daraus resultierende Missverständnisse bringen uns weiter oder eben zum Lachen.

Dr. Corina Apachiţe und Prof. Dr. Christian Haas begegnen sich auch ohne Interviewtermin oft im HOLM, ihre Schreibtische sind nicht weit voneinander entfernt. Sowohl Continental Automotive als auch die Hochschule Fresenius zählen zu den rund sechzig Unternehmen und Hochschulen, die einen Standort im House of Logistics and Mobility betreiben.

Michael Kadow: Zum Abschluss dieses Gesprächs die Frage nach Faktoren, die in Zukunft nötig sind, um erfolgreich an der Entwicklung von KI und deren Anwendungen zu sein?

Dr. Corina Apachiţe: Wir brauchen neue Rahmenbedingungen. Damit meine ich nicht nur neue Gesetze oder Richtlinien, sondern auch öffentlich verfügbare Rechenzentren, die zur Entwicklung von KI zur Verfügung stehen. Wir brauchen Daten, Datensätze, Datenplattformen, eine neue Art von Grundversorgung für das digitale Zeitalter. Wir brauchen sehr viel Aufklärung und Empowerment von Menschen, damit sie KI verstehen und anwenden können. Es darf nicht so kommen, dass wir, bildlich gesprochen, Bücher verbrennen, nur weil wir sie nicht lesen können und darin eine Gefahr sehen. Derzeit lautet ein Narrativ ‚Ich verstehe nicht, was KI ist. Also bitte stoppen‘. Dazu darf es nie kommen. Bildung, auch Studiengänge müssen angepasst werden, damit wir Menschen aus dem Potenzial der Künstlichen Intelligenz auch etwas machen.

Ich sehe durch Künstliche Intelligenz keine Maschinen, die zu Menschen werden, sondern Menschen, die aufhören, wie Maschinen zu arbeiten. Dazu müssen wir eine Demokratisierung der KI anstreben; eine KI, die von jedem verstanden wird und von jedem angewandt werden kann. Eine KI, die transparent ist. Bei Bedarf oder auf Wunsch muss es möglich sein, die Quellen, Referenzen, Daten einzusehen, mit denen die KI trainiert wurde. Denn darum entscheidet die KI so, wie sie es tut. Ist die KI dagegen eine Blackbox, wird man sie nicht verstehen können. Ist sie nicht gemäß ethischen Prinzipien entwickelt worden, dann ist diese Vision gefährdet. Ich bin überzeugt, jeder Player kann etwas zur Demokratisierung der KI beitragen.

Michael Kadow: Prof. Haas, was benötigen Sie in Zukunft, um erfolgreich an und mit KI weiterzuarbeiten?

Prof. Dr. Christian Haas: Bevor ich direkt in die Zukunft schaue, werfe ich einen kurzen Blick auf die jüngere Vergangenheit und Gegenwart. Dabei stelle ich eine steile Entwicklungskurve fest – nicht nur bei uns als Hochschule, sondern hier in dieser Region. Hier tut sich etwas, hier ist eine Aufbruchsstimmung spürbar. Das empfinde ich als sehr förderlich, und zwar in unterschiedlichen Bereichen. Ob das jetzt im Finanzsektor, im Automotive-Sektor, im Gesundheitsbereich oder in anderen Bereichen ist..

Im Transport- und Logistikbereich ist das schöne, dass wir Lösungen bauen können, die sich unmittelbar positiv auswirken. Kleine Tools, die mir oder jedem im Alltag das Leben so ein klein bisschen leichter machen. So entsteht Akzeptanz und Neugierde im positivsten Sinne. Und was natürlich weiterhin gebraucht wird, sind – neben Fördermitteln – eine beständige kulturelle Auseinandersetzung mit dem Themenfeld auch im Sinne von den Randbedingungen, die ‚Data-Thinking‘, die kognitive Basis von KI, ermöglichen und fördern. Ohne diese beiden Punkte wird es auch in Zukunft nicht gehen.

Michael Kadow: Vielen Dank für das Gespräch.