Infrastrukturplanung – Die Öffentlichkeit muss früher einbezogen werden
Auch mehr als drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer ist die deutsche Einheit noch unvollendet – jedenfalls in der Verkehrsinfrastruktur. Von den 17 Vorhaben der 1992 vorgestellten Projektliste „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ sind nicht alle fertig. So wird am Lückenschluss der A 44 zwischen Kassel und Eisenach noch immer geplant und gebaut. Man sieht: Wer an Deutschlands Infrastruktur arbeitet, sollte in Generationen denken. Und das gibt Anlass zur Sorge. Denn wenn wir die Klimaerwärmung in den Griff bekommen wollen, dürfen wir uns mit dem Umbau unserer Energieversorgung und unseres Mobilitätssystems nicht mehr viel Zeit lassen.
Dabei kennen wir das Problem nicht erst seit heute: Das Thema „Planungsbeschleunigung“ wird seit den 90er Jahren intensiv diskutiert. Kommissionen haben getagt und Vorschläge formuliert, der Bundestag verabschiedete mehrere Gesetze mit diesem Ziel, vier davon allein unter der vorigen Bundesregierung. Doch trotz aller Anläufe sind wir einer Lösung offensichtlich nicht wirklich nähergekommen. Warum nicht?
Häufig wird der Grund in unserem Planungsrecht mit seinen mehrstufigen Verfahren, umfangreichen Prüfungen und seiner ausgiebigen Beteiligung der Öffentlichkeit gesehen. Richtig daran ist, dass im Planfeststellungsverfahren nicht nochmals untersucht werden muss, was schon im vorgelagerten Raumordnungsverfahren bearbeitet wurde. Oder andersherum: Auf ein Raumordnungsverfahren kann komplett verzichtet werden, wenn sichergestellt ist, dass die Trassenentscheidung ausführlich im Planfeststellungsverfahren hergeleitet wird.
Aber ich halte überhaupt nichts von Vorschlägen, die auf eine Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung hinauslaufen. Im Gegenteil: Wenn etwas Projekte verzögert, dann ist es eher eine unzureichende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Unzureichend deshalb, weil sie – wie im klassischen Planfeststellungsverfahren – erst erfolgt, wenn schon eine konkrete Planung vorliegt und auch nur nach individueller Betroffenheit fragt. Bürgerinnen und Bürger erwarten heute aber zunehmend eine Diskussion über den grundsätzlichen Sinn eines Vorhabens. Es gilt, sie zu überzeugen. Denn große Projekte bedürfen grundsätzlicher Akzeptanz und mehrheitlichen Rückhalts.
Ich bin sicher, dass eine frühzeitige, dem eigentlichen Verwaltungsverfahren vorgelagerte Beteiligung der richtige Weg ist, weil sie Konflikte – und damit das juristische Streitpotenzial - minimiert und damit die Realisierung letztlich beschleunigen kann. In Hessen wird dies auch mehr und mehr so praktiziert; bei Schienenprojekten wie der Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim ebenso wie bei großen Straßenbauvorhaben.
Ein zweiter Ansatzpunkt wird leider oft übersehen: Während die Verwaltungsjurist*innen in Deutschland schon eifrig über Änderungen der Normen debattierten, hat der Staat in den Jahren um die Jahrtausendwende viele Stellen in Planungs- und Genehmigungsbehörden abgebaut. Deshalb sehen wir uns heute nicht nur einem Sanierungsstau gegenüber, sondern auch einem Personalmangel, der sich zwangsläufig auf die Verfahrensdauer auswirkt.
Hessen hat den Schalter umgelegt und schafft seit einigen Jahren wieder gezielt Stellen in der Landesstraßenbaubehörde Hessen Mobil, nicht zuletzt für den Ausbau der Radwege, und natürlich auch in den Regierungspräsidien, die Windkraftprojekte genehmigen. Aber die Lage auf dem Arbeitsmarkt macht die Rekrutierung zu einer Herausforderung – nicht nur für den Staat, sondern auch für private Planungsbüros und für die Baufirmen, die Projekte letztlich umsetzen müssen.
Fazit: Bei der Realisierung von Infrastrukturvorhaben gibt es viele Hemmschuhe, Bremskräfte und Hindernisse. Isolierte Maßnahmen werden deshalb nichts bewirken. Wir brauchen einen umfassenden Ansatz, wie ihn die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag beschreibt: Mit früherer Bürgerbeteiligung, Digitalisierung der Verwaltung, ausreichend Personal an den richtigen Stellen von Behörden und Verwaltungsgerichten, Straffung der Verfahren und vielem mehr, was in die richtige Richtung weist. Nach drei Jahrzehnten Diskussion ist es dafür höchste Zeit.