Wenn es um Logistikthemen geht, ist Deutschland kaum zu schlagen. Regelmäßig bezeichnen Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft Deutschland als „Logistikweltmeister“ und betonen, dass die Branche im internationalen Vergleich an der Spitze steht. Doch was genau steht hinter der Bezeichnung „Logistikweltmeister“, wie kommt sie zustande und was muss die deutsche Logistikbranche tun, damit sie auch zukünftig weiterhin Chancen auf den Titel hat? Wir haben nachgefragt bei Prof. Dr.-Ing Thomas Wimmer, dem Vorsitzenden des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL).

HOLM-Blog: Deutschland wird immer wieder als „Logistikweltmeister“ bezeichnet. Woher stammt dieser Titel? Gibt es hierfür ein offizielles Ranking?

Thomas Wimmer: „Logistikweltmeister“ ist eine verkürzte Darstellung, die in der Politik gern verwendet wird. Es geht um den Logistics Performance Index (LPI), ein Ranking der Weltbankstudie „Connecting to Compete“. Diese vergleicht die weltweite logistische Leistungsfähigkeit einzelner Länder und Regionen. Der jüngste LPI wurde 2018 veröffentlicht, der erste im Jahr 2007. Weitere Ausgaben sind 2012, 2014 und 2016 erschienen. Abgesehen von den Jahren 2007 (Platz 3) und 2012 (Platz 4) hat Deutschland das Ranking stets angeführt.

Das ist großartig, aber es ist nicht das vorrangige Ziel des LPI, „Logistikweltmeister“ zu küren. Die Weltbank ermittelt den LPI, um ihre Kernaufgabe zu erfüllen, nämlich die wirtschaftliche Entwicklung von weniger entwickelten Staaten durch Beratung, finanzielle und technische Hilfe zu fördern und so die Umsetzung der internationalen Entwicklungsziele unterstützen. Handel und Wachstum tragen zur Verbesserung von Volkswirtschaften bei, Effizienz in der Logistik ist dafür erfolgsbringend. Das Ranking einzelner Staaten steht also nicht im Vordergrund, vielmehr der Unterschied zwischen „armen“ und „reichen“ Staaten – und ob es gelungen ist, diesen zu verringern.

Prof. Dr.-Ing. Thomas Wimmer
Prof. Dr.-Ing. Thomas Wimmer ist seit 1999 bei der Bundesvereinigung Logistik (BVL) tätig – zunächst als Geschäftsführer, ab 2004 als Vorsitzender der Geschäftsführung und seit 2020 als Vorsitzender des Vorstands. Bild: BVL

HOLM-Blog: Wie schafft es Deutschland immer wieder, sich ganz vorne im Ranking zu positionieren? Was macht Deutschland in Sachen Logistik so stark?

Thomas Wimmer: In der Weltbankstudie werden sechs Einzelindikatoren herangezogen und auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet, um das Ranking zu ermitteln:

• Abwicklungseffizienz von Grenzschutz und Zoll: Schnelligkeit, Einfachheit, vorhersehbare Formalitäten,

• Qualität der Infrastruktur: Häfen, Schiene, Straßen, Informationstechnologie,

• wettbewerbsfähige Konditionen für internationale Verschiffung,

• Kompetenz und Qualität logistischer Dienstleistungen (Spediteure, Zollabwickler),

• Sendungsverfolgung,

• Pünktlichkeit.

Untersucht werden globale Warenströme in mehr als 150 Ländern, basierend auf 6.000 Einschätzungen von rund 1.000 internationalen Frachtführern, die jeweils die acht fremden Länder bewerteten, die ihr Unternehmen am häufigsten bedient. Im LPI punktete Deutschland 2018 vor allem bei Pünktlichkeit, Infrastruktur und Kompetenz. Am „schlechtesten“ abgeschnitten haben wir bei den wettbewerbsfähigen Konditionen für internationale Verschiffung. Deutschland ist bekanntermaßen ein Hochlohnland. Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Werte einzelner Länder sehr nah beieinander liegen und direkte Vergleiche also mit Vorsicht zu genießen sind.

HOLM-Blog: Was muss in Zukunft getan werden, damit der Wirtschaftsbereich Logistik in Deutschland auch weiterhin so leistungsstark bleibt? Wo liegen hier die größten Herausforderungen?

Thomas Wimmer: Die reale und die digitale Infrastruktur sind weiter auszubauen und die überbordenden administrativen Vorgaben bedürfen dringend der Deregulierung, um weiterhin pünktlich und zuverlässig liefern und abwickeln zu können.

Die globalen Warenströme sind zurzeit stark schwankend, häufig verspätet und es fehlen Ladungsträger. Unsichere politische Entwicklungen, Wirtschaftskriege und natürlich auch Pandemien stören die logistischen Abläufe. Neue digitale Tools und Technologien ermöglichen vorbeugendes Agieren. Automatisierung und künstliche Intelligenz reduzieren Fehlermöglichkeiten im Güterumschlag zwischen Verkehrsträgern. Analytische Methoden wie Predictive Analytics tragen dazu bei, logistische Netzwerke und Lieferketten trotz Störgrößen stabil zu halten. Studien bestätigen das, wie die Befragung, die die BVL Ende 2020 mit der Frankfurt University of Applied Sciences zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die logistische Leistungsfähigkeit von Unternehmen durchgeführt hat.

Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, besonders beim Erhalt und Ausbau der Infrastruktur. Da geht es um Investitionen, aber auch um den Abbau bürokratischer Hürden, zum Beispiel bei Planungsverfahren oder beim Zoll.

Nicht zuletzt müssen wir bei der Personalentwicklung am Ball bleiben, um die Kompetenz und damit die Qualität in Logistik und Supply-Chain-Management zu erhalten. Mit der Digitalisierung entstehen neue, zumeist höher qualifizierte Aufgabengebiete.

Für die neue Bundesregierung bedeutet das eine große Verantwortung mit Blick auf den Wirtschaftsbereich Logistik, der mit einer Leistung von 279 Milliarden Euro im Jahr 2020 und mehr als drei Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der drittgrößte in Deutschland ist. Die BVL hat sich bereits mit einem Positionspapier an die Abgeordneten gewandt, um die wichtigsten Handlungsfelder aufzuzeigen und zum Dialog einzuladen.