Dr. Susanne Bartels forscht am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zu den Auswirkungen von Lärm. Besonders am Herzen liegen ihr die vulnerablen Bevölkerungsgruppen, also ältere Menschen, Kinder oder Menschen mit hoher Arbeitsbelastung oder in Schichtarbeit. Denn diese fänden, so Bartels, bisweilen zu wenig Berücksichtigung in der Lärmwirkungsforschung. Wir haben die Expertin zu aktuellen Erkenntnissen über Belastungen durch Verkehrslärm und zum Schutz vor Lärm gefragt.

Susanne Bartels studierte Psychologie und promovierte zum Thema Fluglärmbelästigung und deren Einflussfaktoren. Seit fast 15 Jahren forscht sie am DLR in der Abteilung Schlaf und Humanfaktoren zu den Auswirkungen von Verkehrslärm auf den Menschen. Neue Forschungsfragen ergeben sich aber auch aus modernen und zukünftigen Mobilitäts- und Transportkonzepten. So untersuchen die Forschenden am DLR u. a. auch die Auswirkungen des Lärms auf den Menschen, der von Drohnen und Lufttaxis verursacht wird. Bild: DLR

HOLM-Blog: Frau Dr. Bartels, Sie selbst forschen seit vielen Jahren zu den Auswirkungen von Lärm. Welche Verkehrsmittel verursachen den meisten Lärm, und wer ist am meisten davon betroffen?

Dr. Susanne Bartels: Mit großem Abstand sind in Deutschland, aber auch in ganz Europa die meisten Menschen von Straßenverkehrslärm betroffen; nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur vor allem Menschen in städtischen Gebieten. In regelmäßigen Abständen veröffentlicht das Umweltbundesamt Statistiken dazu, wie viele Personen von sogenannten Dauerschallpegeln über einem Wert von 55 Dezibel, dB(A) [1], betroffen sind. Das wird als Tag-Abend-Nacht-Pegel Lden ausgedrückt. Hierbei wird Lärm in den Abend- und Nachtstunden besonderes gewichtet. Ein Lden ab 55 dB(A) gilt dabei als hoch und laut Weltgesundheitsorganisation als gesundheitsschädlich. In Deutschland sind etwa ein Viertel der Bevölkerung von einem Lden von 55 dB(A) oder mehr betroffen. Der Anteil der Bevölkerung, der nachts hoch durch Verkehrslärm belastet ist (hier gelten Dauerschallpegel ab 50 dB(A) als hoch), ist etwas geringer (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Belastung durch Verkehrslärm in Deutschland. Quelle: Umweltbundesamt 2024

HOLM-Blog: Inwiefern sind Kinder von Verkehrslärm betroffen und wie wirkt sich dieser auf sie aus? Gibt es Unterschiede zu Erwachsenen?

Dr. Susanne Bartels: Kinder gelten neben älteren und vorerkrankten Menschen als sogenannte vulnerable Gruppe. Es wird angenommen, dass diese Personengruppen bei gleicher Lärmbelastung stärker gefährdet oder beeinträchtigt sind. Das heißt: Vulnerable Gruppen können höhere Gesundheitsrisiken entwickeln als die allgemeine Bevölkerung. Kinder sind auf zweierlei Arten direkt vom Lärm betroffen: in ihren kognitiven Fähigkeiten und durch Schlafstörungen.

Im Bereich der kognitiven Fähigkeiten von Kindern sind es insbesondere die Leseleistung und das Text-/Wortverständnis, die unter einer hohen Verkehrslärmeinwirkung leiden können. So zeigte eine großangelegte Studie im Umfeld des Flughafens Frankfurt (Main), die im Rahmen der NORAH-Studie [2] durchgeführt wurde, dass Kinder mit einer höheren Fluglärmbelastung in der Schule eine schlechtere Leseleistung aufwiesen. Ein Unterschied in der Lärmbelastung (ausgedrückt als Dauerschallpegel) von 10 dB(A) war assoziiert mit einem Rückstand in der Leseentwicklung von etwa einem Monat. Derart große Effekte wurden bei anderen Verkehrslärmarten dagegen bisher nicht gefunden. Insgesamt ist aber zu erwähnen, dass es in Bezug auf eine abschließende Bewertung des Effekts von Verkehrslärm auf die kognitive Leistungsfähigkeit nur wenige belastbare Studien gibt.

Ähnlich verhält es sich bei der zweiten direkten Lärmwirkung auf Kinder, möglichen Schlafstörungen. Kinder zeigen zwar einen insgesamt weniger störanfälligen Schlaf als Erwachsene und wachen nach einem Lärmereignis mit einer deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit auf. Allerdings schlafen insbesondere Grundschulkinder länger als Erwachsene und zu Zeiten, zu denen noch bzw. schon wieder sehr viel Verkehr herrscht. Wir Lärmwirkungsforschende nennen diese Zeiten um die Kernnacht herum die Tagesrandzeiten. So gibt es an Flughäfen oder auch auf innerstädtischen Straßen bestimmte Regelungen zum Schutze der Kernnacht, zum Beispiel von 22 bis 6 Uhr. Die Tagesrandzeiten gehen jedoch häufig mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen einher, sodass man annehmen kann, dass der Schlaf von Kindern mindestens genauso stark beeinträchtigt ist wie der Schlaf von Erwachsenen.

In einer eigenen Studie des DLR unter Einsatz von elektrophysiologischen Messungen (siehe Abbildung 2) konnten wir zeigen, dass Grundschulkinder in Nächten mit erhöhter Fluglärmbelastung eine statistisch bedeutsame Verkürzung des Tiefschlafs um circa 17 Minuten erleben und während der Nacht um circa 7 Minuten länger wachlagen. In Längsschnittstudien muss nun untersucht werden, welche gesundheitlichen Auswirkungen diese kleinen, aber regelmäßig auftretenden Schlafbeeinträchtigungen langfristig zur Folge haben.

Abbildung 2: Elektrophysiologische Messung des Schlafes bei Kindern (u. a. mit EKG und EEG). Bild: DLR

HOLM-Blog: Welche wesentlichen Auswirkungen haben Flug-, Schienen- und Straßenverkehrslärm auf Schlaf, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden? Was gilt in der Forschung als gesichert?

Dr. Susanne Bartels: Als gesichert gilt, dass Fluglärm am Tage zu Störungen von Alltagstätigkeiten, wie Kommunikation, Lesen, Konzentration und Entspannung, sowie zur Belästigung führen kann. Lärm wird als Stressor betrachtet, der langfristig bei häufigem und wiederholtem Auftreten und der immer wieder auftretenden Aktivierung des autonomen Nervensystems das Risiko für Herzkreislauferkrankungen und psychische Erkrankungen erhöht und die Lebensqualität mindert. Außerdem gilt als belegt, dass sich nächtlicher Verkehrslärm auf den Schlaf auswirken kann, in dem der Schlaf durch Aufwachreaktionen unterbrochen oder in seiner Zusammensetzung und Tiefe beeinträchtigt werden kann. Für letztere Auswirkungen können Veränderungen im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Minutenbereich verzeichnet werden. Diese Veränderungen sind in aufwendigen schlafphysiologischen Messungen nachweisbar. Zudem wirkt sich Lärm auf die subjektive Wahrnehmung der Schlafqualität aus. Betroffene berichten von einer geringeren Schlaftiefe und -erholung bei nächtlicher Verkehrslärmbelastung.

Der Belästigung und den Schlafstörungen kommt besondere Bedeutung zu. Aktuell geht die Lärmwirkungsforschung davon aus, dass sie das entscheidende, vermittelnde Element in dem kausalen Zusammenhang zwischen Lärmbelastung und Erkrankungsrisiko sind. Das heißt, Personen, die unter einer hohen Lärmbelästigung und lärmbedingten Schlafstörungen leiden, zeigen langfristig erhöhte Krankheitsrisiken. An der Stelle muss erwähnt werden, dass zwar der Zusammenhang zwischen Lärmbelastung und Erkrankungsrisiko im Vergleich zu anderen Risikofaktoren eher gering ist. Der Risikoanstieg je 10 dB(A)-Zunahme im Lden für beispielsweise Bluthochdruck liegt bei bis zu 5 Prozent. Faktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsmangel erhöhen um ein Vielfaches das Risiko insbesondere für Herzkreislauferkrankungen. Jedoch müssen angesichts des großen Bevölkerungsanteils, der potenziell gesundheitsgefährdenden Pegeln ausgesetzt ist, auch diese eher kleinen Risikoanstiege angemessen berücksichtigt werden.

In Bezug auf die Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit stehen, wie erwähnt, vor allem Kinder im Fokus. Auch bei Erwachsenen lassen sich in Studien Effekte zeigen, zum Beispiel eine verlängerte Reaktionszeit nach einer lärmreichen Nacht mit einhergehenden Schlafbeeinträchtigungen. Aber diese Effekte sind eher klein.

HOLM-Blog: Können Sie uns ein paar praktische Beispiele nennen, wie sich Lärm von Verkehrsmitteln wirksam reduzieren lässt? Wer steht in der Verantwortung?

Dr. Susanne Bartels: Natürlich gibt es unterschiedliche Ansätze zur Reduzierung des Lärms unmittelbar an der Quelle. Wir sprechen hier von aktivem Lärmschutz. So können moderne, effiziente Triebwerke die Einzelpegel von Flugzeugen insbesondere beim Start merklich reduzieren. Je nach Referenzflugzeug kann dies Pegelunterschiede von circa 5 bis 10 dB(A) im Maximalpegel ausmachen. Während dies auch für die Landung gilt, kommen hier auch Lärmanteile von umströmten Fahrwerken und Klappensystemen hinzu, die durch Nachrüstmaßnahmen, so wie im DLR Projekt LN-ATRA am Airbus A320 erprobt, kurzfristig ein Minderungspotenzial von circa 5 dB(A) ermöglichen (Abbildung 3). 

Abbildung 3: Potenzial zur Reduktion von Lärm bei der Landung an verschiedenen Lärmquellen am Flugzeug. Bild: DLR

Ebenso zeigen Maßnahmen, wie das Abschleifen von Schienen oder das Nachrüsten insbesondere von Güterzügen mit lärmmindernden Bremssystemen, eine deutliche Reduzierung der Lärmemissionen durch Rollgeräusche. Vorbeifahrtgeräusche werden infolgedessen als weniger unangenehm und störend empfunden. Auch passive Schallschutzmaßnahmen, wie etwa der Einbau von Schallschutzfenstern, können die Lärmbelastung in Innenräumen reduzieren. Jedoch zeigte sich in vergangenen Studien, dass hierdurch nicht automatisch die Belästigung und selbstberichtete Schlafstörungen gesenkt werden. Anwohnende berichten selbst in Gebieten mit hoher Verkehrslärmbelastung, dass sie nachts die (Schallschutz-)Fenster nicht schließen, da sie sonst Schlafbeeinträchtigungen aufgrund schlechter Luftqualität in den Schlafräumen wahrnehmen.

Die Verantwortung allein auf einzelne Betreiber, wie den Flughafen oder die Bahn abzuschieben, ist meines Erachtens nicht zielführend. Auch wir Nutzerinnen und Nutzer von Verkehrsmitteln müssen uns fragen, wie wir zu einem lärmreduzierenden Mobilitätsverhalten beitragen können. Das beginnt bei der Reflektion des eigenen Fahrverhaltens, etwa in Bezug auf die Fahrgeschwindigkeit, Beschleunigungsverhalten, Fahren mit hoher Drehzahl etc., und geht weiter zum Überdenken von Reisegewohnheiten. Muss ich wirklich den Flieger nehmen, der mitten in der Nacht in den Süden startet?

HOLM-Blog: Stichwort E-Mobilität: Wird es in Zukunft durch elektrische Antriebe, zumindest auf den Straßen, nicht deutlich leiser werden?

Dr. Susanne Bartels: Ja und nein. Elektromotoren sind deutlich leiser als Verbrennungsmotoren. Am größten ist jedoch der Effekt bei niedrigen Geschwindigkeiten bis circa 25 km/h. Mit zunehmenden Geschwindigkeiten ab etwa 30 km/h dominieren mehr und mehr die Rollgeräusche. Bei 50 km/h wird kaum noch ein hörbarer Pegelunterschied zwischen Fahrzeugen mit Elektro- gegenüber solchen mit Verbrennungsmotoren erwartet. Es kann also angenommen werden, dass es in Wohngebieten mit geringen zulässigen Geschwindigkeiten durchaus einen positiven Effekt im Sinne einer Lärmreduktion geben kann. Entlang von Hauptverkehrsstraßen mit Geschwindigkeitsbegrenzungen von 50 oder gar 70 km/h erwarten wir nur eine geringe Reduktion der Lärmemission.

HOLM-Blog: Die Initiative Lärmwirkungsforschung setzt sich für einen interdisziplinären Forschungsverbund ein. Welche Wissenslücken beim Verkehrslärm gilt es vordringlich zu schließen?

Dr. Susanne Bartels: Hier gibt es tatsächlich noch viele Bereiche, in denen es weiteren Forschungsbedarf gibt oder neue Methoden und Kennzahlen notwendig sind. Allein das häufig verwendete Maß des Dauerschallpegels ist für Lärmbetroffene kaum verständlich, denn es ist nicht eindeutig zu übersetzen in ‚viele versus wenige‘ oder ‚laute versus leise‘ Verkehrslärmereignisse. Unterschiedlichste Verkehrsszenarien hinsichtlich Anzahl und Maximalpegeln von Lärmereignissen können ein und denselben Dauerschallpegelwert erzeugen. Hier fehlt es nach wie vor an transparenten, verständlichen Kennzahlen.

Häufig werden die verschiedenen Verkehrslärmquellen einzeln betrachtet und außer Acht gelassen, dass mehrere Lärmquellen, zum Beispiel Straße und Schiene oder Straße und Flugverkehr, gleichzeitig oder im Tagesverlauf mit unterschiedlicher Dominanz auftreten können. Die Bewertung des resultierenden Gesamtlärms sowie die Möglichkeiten zur Vorhersage von Gesundheitswirkungen aus dieser Gesamtlärmbelastung sind noch nicht abschließend erforscht.

In jüngerer Vergangenheit gab es vermehrt Forschung zu Risiko- und Vulnerabilitätsfaktoren. Das bedeutet: Welche Faktoren sorgen dafür, dass Menschen bei einer gegebenen Lärmbelastung erkranken, während andere Menschen gesund bleiben? Hier existieren noch Wissenslücken insbesondere in Bezug auf die Wirkungen und Wechselwirkungen weiterer Umwelt- und sozialer Stressoren, wie ein niedriger soziökonomischer Status, der bisweilen mit einem ungesünderen Lebensstil assoziiert ist, häufig aber auch mit Doppelbelastungen. Wohngebiete mit niedrigem Mietspiegel sind häufig nicht nur von Lärm, sondern auch von schlechter Luftqualität und wenig Zugang zu ruhigen und grünen Rückzugsorten betroffen. Hier gilt es besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen zu identifizieren und besser zu schützen. Genauso wichtig ist aber auch die Forschung zu gesundheitserhaltenden, sogenannten Resilienzfaktoren, aus denen sich Interventionsmaßnahmen ableiten lassen, um Erkrankungsrisiken entgegenzuwirken.

HOLM-Blog: Vielen Dank für das Gespräch.

Die Initiative Lärmwirkungsforschung dient der Vernetzung und dem Austausch rund um das Thema Wirkungen von Umgebungslärm auf den Menschen. Eingebunden sind führende Forschende deutscher Universitäten und Forschungszentren, aber auch Vertreter*innen kleiner und mittelständiger Unternehmen sowie aus Politik und Verwaltung. Die Initiative will eine ganzheitliche und interdisziplinäre Erforschung des Themas Lärmwirkungen anregen und unterstützen. Ziel ist die Minderung von Umgebungslärm sowie die Ableitung von Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit der Bevölkerung.