Auch wenn Radfahren im Trend liegt – für Erwachsene zeigt die Studie „Mobilität in Deutschland“ (Nobis, 2019), dass ca. 36 % der Bevölkerung nie oder so gut wie nie mit dem Rad fahren.

Unter den Nicht-Radfahrenden gibt es Personen, die nicht Radfahren können, es aber lernen wollen. Organisationen wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) bieten daher Kurse für Erwachsene an, in denen das Radfahren auf einem autofreien Trainingsgelände vermittelt wird.

Die Teilnehmenden üben zunächst das Schieben, entwickeln dabei ein Gefühl für Bremsen und Lenkbewegungen. Anschließend wird das Fahrrad als Laufrad verwendet, hier steht das Entwickeln von Gleichgewicht und Balance im Mittelpunkt. Es folgen Übungen zum Anfahren und Pedalieren, Bremsen, Lenken, Spurhalten, Ausweichen sowie Handzeichen geben in einer Vielzahl von Übungen über mehrere Stunden, verteilt auf mehrere Tage.

Üblicherweise brechen ein oder zwei aus einer Gruppe von zehn Teilnehmenden das Training ab oder kommen während der 16 Stunden nicht über das Stadium des Laufradfahrens hinaus. Die anderen können auf dem Trainingsgelände in unterschiedlich gutem Ausmaß Rad fahren, äußern oft große Begeisterung und freuen sich auf eine Zukunft auf zwei Rädern.

 

Nachhaltigkeit als Anspruch

Kinder beginnen mit dem Lernen des Fahrradfahrens heute so früh wie nie zuvor. Das gilt für Deutschland (von Below, 2016), aber auch für viele andere Länder (Cordovil et al., 2022). Dies ist unter anderem bedeutsam, da ein frühes Lernalter eine der Bedingungen zu sein scheint, die eine häufigere Verwendung des Fahrrads im Lebensverlauf wahrscheinlicher machen (von Below, 2016).

In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob und in welchem Umfang Erwachsene das Radfahren in einem 16-stündigen Kurs in so einem Ausmaß erlernen können, dass sie nach dem Training in der Lage sind, eigenständig damit weiterzumachen.

Dazu wurden über zwei Jahre die Kurse einer Radfahrschule des ADFC evaluiert: Drei Monate nach dem Training erhielten die Teilnehmenden einen Online-Fragebogen zu u. a. folgenden Fragen:

  • Trainingserfolg: Wie häufig ist die Person nach dem Kurs mit dem Rad gefahren?
  • Hemmnisse: Welche erschwerenden Faktoren gab es?
  • Motive: Warum möchte eine erwachsene Person Radfahren lernen?
  • Radfahren und Sozialisation: Wurde im Elternhaus Rad gefahren? Welche Wahrscheinlichkeit bestanden für Jungen und Mädchen, Radfahren zu lernen, wo die Teilnehmenden aufwuchsen?
  • Kritische Fahrsituationen: Kam es in den Monaten nach dem Kurs zu kritischen Fahrsituationen?

Der Fragebogen wurde auf Deutsch und Englisch angeboten.

 

Wer will als erwachsene Person Radfahren lernen?

Die sehr breite Altersverteilung der Kursteilnehmenden zeigt: Auch im fortgeschrittenen Alter können Menschen den Wunsch haben, mit dem Radfahren anzufangen.

Tabelle 1: Alter der Kursteilnehmenden

Von 198 Teilnehmenden aus zwei Kursjahren nahmen 65 an der Befragung teil. Der Anteil der Frauen bei den Kursanmeldungen betrug 90 %. Ob die Online-Befragung diesen Anteil korrekt repräsentiert, ist nicht bekannt, da das Geschlecht aus Datenschutzgründen nicht erfasst wurde.

Aus Pausengesprächen schätzt der Studienautor den Anteil der Teilnehmenden, die nicht in Deutschland aufgewachsen sind, auf über 80 %. In seinen Kursen befanden sich in den letzten vier Jahren Menschen aus über 25 Nationen. Wie schon beim Geschlecht ist unklar, ob die Befragung diese Internationalität repräsentativ abbildet, da auf Fragen nach Nationalität oder geographischer Herkunft verzichtet werden musste.

 

Trainingserfolg

Der evaluierte Kurs hat Anspruch auf Nachhaltigkeit, es geht darum, die Teilnehmenden über das Training hinaus zu Radfahrenden zu machen.

Der Trainingserfolg wurde daher über die Anzahl von Fahrten gemessen, die die Teilnehmenden in den drei Monaten nach dem Training selbständig unternommen haben.

Ein nachhaltiger Lerneffekt wurde für die Gruppe angenommen, die sechsmal oder öfter gefahren ist. Über 40 % der Teilnehmenden erreichte dieses Ziel (43 %, n = 27).

Allerdings fuhren knapp die Hälfte der Antwortenden nach dem Training entweder gar nicht mehr (24 %, n = 15) oder nur ein bis zweimal (22 %, n = 14).

Tabelle 2: Anzahl der Radfahrten in den drei Monaten nach dem Radfahrkurs

Trainingserfolg und Lebensalter

Die Wahrscheinlichkeit mit dem Radfahren weiterzumachen, sank mit dem Alter der Person ab. Es bestand eine mittelstarke, negative Korrelation zwischen Alter und Trainingserfolg: r(61) = –0.37 (p = .003).

 

Bedingungen, die den Trainingserfolg erschweren

Auf einer fünfstufigen Skala wurden die Teilnehmenden gefragt, warum sie nach dem Kurs nicht oder nur sehr wenig mit dem Rad gefahren sind. Die Nicht- oder fast Nicht-Fahrer (0 bis maximal 2 Fahrten nach dem Training, n = 29) nannten dafür folgende Gründe:

Tabelle 3: Was hat Nicht- oder Fast-Nicht-Fahrer*innen am Radfahren gehindert?

Unsicherheit beim Fahren wurde als wichtigster Grund genannt, gefolgt von der Nicht-Verfügbarkeit eines Rades.

 

Motive: Warum will eine erwachsene Person Radfahren lernen?

Auch wenn das Fahrrad ein Verkehrsmittel ist, wurde der Mobilitätsaspekt eher als nachrangiges Motiv genannt. Zentral ist der intrinsische Wunsch nach Perfektionierung im Sinne von Pink (2009). Die drei familienbezogenen Motive erhielten die geringsten Zustimmungswerte: Radfahren lernen ist etwas, das die Teilnehmenden für sich selbst und nicht für die Familie unternehmen.

Radfahren wird als Freizeit- oder Gesundheitsaktivität verstanden. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der Projektgruppe RadAktiv (2021), nach denen Nicht-Radfahrende das Fahrrad eher als Sportgerät für eine Freizeitaktivität begreifen und nicht als Fortbewegungsmittel für den Alltag.

Tabelle 4: Warum haben Sie sich zu dem Radfahrkurs angemeldet?

Radfahren und Sozialisation

Die Teilnehmenden der Radfahrkurse kamen überwiegend aus Familien, in denen die Eltern nicht Fahrrad gefahren sind:

Tabelle 5: Radfahren im Elternhaus

In der Einschätzung der Teilnehmenden war im Umfeld ihrer Herkunft die Wahrscheinlichkeit für Mädchen, das Radfahren zu lernen, deutlich geringer als für Jungen. Die Mittelwertsunterschiede sind statistisch signifikant: t(64) = –4.27 (p = .001).

 

Kritische Ereignisse

Teilnehmende, die nach dem Kurs mindestens einmal selbständig gefahren sind, wurden befragt, ob sie dabei in eine gefährliche Situation gekommen sind. Von 48 Teilnehmenden berichten 7 von einem Sturz.

 

Fazit – Empfehlungen für die Praxis des Radfahrunterrichts

Die erhobenen Daten deuten an, dass etwa 40 % der Teilnehmenden den Sprung vom betreuten und geschützten Trainingsumfeld zum selbständigen Radfahren schaffen können. Für einen erheblichen Anteil der Teilnehmenden kann dies nicht behauptet werden. Dies gilt besonders für die Gruppe der älteren Teilnehmenden.

Die Nicht- oder Fast-Nicht Fahrer nennen als wichtigsten Grund die nach wie vor bestehende Unsicherheit.

Nach Ansicht des Autors ist die Unsicherheit berechtigt. Viele der Teilnehmenden schaffen es beispielsweise nicht, einen Abbiegevorgang durch Handzeichen anzuzeigen, weil sie (noch) nicht über mehrere Sekunden mit nur einer Hand am Lenker fahren können. Sicheres Fahren im Straßenverkehr ist ohne diese Fertigkeit aber nicht möglich.

Vor dem Hintergrund, dass immerhin 15 % der Teilnehmenden in den drei Monaten nach dem Kurs über einen Sturz mit dem Fahrrad berichten, sollte deutlich auf eine Vermeidung riskanter Fahrszenarien eingewirkt werden.

Die folgenden Empfehlungen sollen die Teilnehmenden zukünftiger Kurse vor Selbstüberforderung schützen und ihnen helfen, langfristig mit dem Radfahren weiterzumachen.

 

1. Realistische Kursziele setzen

Es sollte deutlich darauf hingewiesen werden, dass die im Training erworbenen Kompetenzen nicht bei jeder Person am Ende des Kurses für die Teilnahme am Straßenverkehr ausreichen werden.

Hilfreich ist, wenn Teilnehmende wie in der vorliegenden Studie das Radfahren als Freizeit- und Gesundheitsaktivität begreifen, weil sie dadurch weitgehend frei über alle Bedingungen der Fahrten (aktuelle körperliche Fitness, Strecke, Zeit, Wetter …) entscheiden können.

Dient der Radfahrkurs allerdings dazu, die Mobilität von Menschen zu vergrößern, die über kein Auto verfügen oder keinen guten Zugang zum ÖPNV haben, sind höhere Ansprüche an die benötigte Fahrkompetenz zu stellen. Wer auf das Rad angewiesen ist, um in die Arbeit oder zur Kita zu gelangen, kann auf Strecke, Tageszeit und Wetter keine Rücksicht nehmen. Solche Kurse sollten nach Ansicht des Autors stets Übungen im Realverkehr auf den konkret angestrebten Strecken beinhalten.

 

2. Strategien zum Dranbleiben erarbeiten

Die Teilnehmenden sollten wissen, dass das selbständige Weitermachen mit dem Radfahren eine Herausforderung darstellen wird. In kurzen Gruppenarbeiten soll eine Reflektion darüber angeregt werden, wie mit dem Radfahren nach dem Ende des Kurses weitergemacht werden kann und welche Hindernisse dabei auftreten werden. Beispiele, wie das Aufstellen von Plänen bei der Zielerreichung helfen kann, finden sich bei Oettingen (2015).

Die Teilnehmenden sollten bereits während des Kurses möglichst konkret überlegen, wo sie später gefahrlos mit dem Rad üben können. Es sollte verdeutlicht werden, dass in den ersten Wochen auch das Schieben des Rads zu diesem Übungsort in Betracht gezogen werden kann, falls sich der Weg dorthin als zu schwierig erweisen sollte.

Entscheidend ist, dass Radfahren zunächst nur zur Übung betrieben wird, dass dazu geeignete Strecken identifiziert und Mobilitätszwecke hintangestellt werden. Personen, die noch kein Rad zur Verfügung haben, werden aufgefordert, sich bereits jetzt zu überlegen, wie sie eines beschaffen werden.

 

3. Aufbau realistischer Erwartung bei den Trainerinnen und Trainern

Während der Kurse erleben Trainerinnen und Trainer bei den meisten Teilnehmenden ein großes Maß an Begeisterung, Freude und Dankbarkeit. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie, dass ein erheblicher Teil der Kursteilnehmenden mit dem Radfahren dann doch nicht weitermacht, mag für einige der sehr radfahraffinen Ehrenamtlichen eine Überraschung und auch eine Enttäuschung sein.

Bereits bei der Ausbildung der angehenden Radfahrlehrer*innen sollte daher verdeutlicht werden, dass das Radfahren lernen als Erwachsener eine ungewöhnliche und anspruchsvolle Aufgabe ist, dass die Integration dieser neuen Fertigkeit in den Alltag häufig nicht auf Anhieb gelingen wird und sie auch nicht leicht durchzuhalten ist.

Hilfreich könnte sein, den Lehrenden Statistiken mit Erfolgsquoten von Programmen von langfristigen Lebensstil-Veränderungen wie Gewichtsreduktion, Steigern der sportlichen Aktivität oder Rauchentwöhnungsprogramme zu zeigen.

 

Ausblick

Die Studie wird aktuell fortgesetzt, wobei zusätzlich untersucht wird, ob die Zufriedenheit in Bezug auf das eigene Radfahren mit der Anzahl der nach dem Kurs noch selbständig übernommenen Fahrten zusammenhängt. Es ist denkbar, dass ein Teil der Nicht-Fahrer die Kursteilnahme trotzdem genossen hat und mit dem Erreichten zufrieden ist, darüber hinaus aber keine Ambitionen für weiteres Radfahren hegt. Das Wissen, es prinzipiell zu können und einmal im Leben wirklich Rad gefahren zu sein, mag der einen oder anderen Person genügen.